Fluch der Engel: Roman (German Edition)
durch die kleine Fischerhütte. Christopher war der Einzige, der mir helfen konnte – doch er war nicht mehr hier. Er hatte mich alleingelassen.
Verzweifelt schluchzte ich in mein Kissen. Warum lag ich in dieser Hütte? Warum hatte er mich nicht getötet? Wollte er warten, bis ich mich in ein Monster verwandelte, weil es ihm dann leichter fiel?
Ein Geräusch an der Tür schreckte mich auf. Christopher stand auf der Schwelle und musterte mich. Seine Augen waren kalt wie gefrorene Jade. Und obwohl seine Anwesenheit sich wie ein wärmender Schutz in mir ausbreitete, überlief mich ein Frösteln. Alles wäre mir lieber gewesen. Selbst Wut hätte ich ertragen. Denn der Blick, mit dem er mich ansah, war grausam und abweisend.
Ich schloss die Augen. Doch Christopher ließ nicht zu, dass ich mich vor ihm versteckte.
»Wie bist du nach Sulmona gekommen?« Auch seine Stimme klang eisig.
»Mit … mit einem Boot.«
»Sulmona liegt in den Bergen«, erwiderte Christopher. »Du solltest dich an die Wahrheit halten.«
Sein drohender Unterton ließ mich zusammenzucken. Christopherbemerkte es. Hellstes Grün loderte in seinen Augen. Meine Verzweiflung wuchs ins Unermessliche. Er verabscheute mich, das schwächelnde Elend, das lieber in einen tausendjährigen Schlaf geflohen wäre, als ihm zu antworten – weil ich zu feige war. Weil ich mich vor der Endgültigkeit fürchtete, von ihm nicht mehr geliebt zu werden.
»Warum habe ich dich in Sulmona gefunden?«, setzte Christopher die Befragung fort.
»Weil ich zurückwollte.«
»Zu Aron?«
»Nein … doch … eigentlich schon«, stammelte ich, weil ich Christopher unmöglich sagen konnte, vor wem und wovor ich geflohen war.
Die senkrechte Stirnfalte zwischen seinen Augen erschien. Er glaubte mir nicht.
»Und weshalb wolltest du dann zur Einsiedelei?«
»Ich … ich war auf der Suche nach einem Engel, der mir helfen würde.«
»Wobei? Ein Schatten zu werden? Da hättest du besser woanders nachgefragt.«
Christophers zynische Bemerkung setzte mir zu, obwohl so viel Wahrheit in ihr steckte. Ein Teil von mir hatte sich gewünscht, ein Schattenengel zu werden. Und obwohl dieser Teil im Augenblick schwieg, wusste ich, dass er noch da war und auf eine zweite Chance wartete – die es niemals geben würde. Der Rat duldete keine Monster.
Mein Zittern verstärkte sich wieder. Christopher hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er rang um Beherrschung. Vermutlich hätte er mir am liebsten den Hals umgedreht.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte ich, um die erdrückende Stille zu durchbrechen, die sich in der Hütte ausbreitete wie schleichendes Gift.
»Ich bin ein Racheengel und auch für die Gegend rund um Sulmona zuständig. Hast du das vergessen? Oder wäre es dir lieber gewesen, wenn ich Nagual gebeten hätte, dich zu … suchen?«
Ich schüttelte den Kopf. Auch ohne dass Christopher es sagte, wusste ich, dass Racheengel dämonische Wesen jagten und nicht nach ihnen suchten. Nagual hätte sich die Fragerei erspart – er traute mir ohnehin nicht – und mich ohne Umwege zur Dogin gebracht. Oder zu ihrem Schlächter.
»Warum bin ich hier?«, fragte ich leise.
Christopher kehrte mir den Rücken zu und starrte aus dem Fenster. Wollte er mir nicht in die Augen sehen, wenn er mir die Wahrheit sagte? Weil ihm doch noch etwas an mir lag? Ein Hoffnungsschimmer erwachte in mir.
»Weil ich wissen will, warum du den Engelsrat belogen hast«, antwortete er.
»Ich …«
»Und warum du kein Engel mehr warst, als ich dich in der Krypta gefunden habe«, fiel Christopher mir ins Wort, während er sich wieder zu mir umdrehte.
»Ich … das, ich habe nicht …« Ich brach ab. Ich wollte nicht noch mehr lügen. Aber ich wollte ihm auch nicht verraten, welche Wesen sich in Sanctifers Palast tummelten. Christopher hasste seinen einstigen Lehrmeister. Ihm einen Grund zu geben, in Sanctifers Palast zu stürmen, würde ihn töten. Allein gegen Gabriella und ihre dunklen Engel war selbst ein Racheengel wie Christopher chancenlos. Er brauchte Unterstützung, doch ich bezweifelte, dass Christopher jemanden darum bitten oder mich zu Aron bringen würde, damit er uns helfen konnte.
»Warum wurden deine Flügel von Engelsenergie verzehrt?« Zornesfalten erschienen auf Christophers Gesicht, als er sich mir näherte. Seine Wut war greifbar. Mein Schweigen hatte Christophers Gelassenheit zum Einsturz gebracht.
Ich wich vor ihm so weit zurück, wie es das plötzlich viel zu schmale Bett
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