Fluch der Engel: Roman (German Edition)
zu fliehen, als Rückendeckung gegen einen Amok laufenden Racheengel würde er mir vielleicht ein wenig Zeit verschaffen.
Als Nagual mich beiseiteschob und meinen Platz vor dem Altarstein einnahm, wurde mir bewusst, dass ich das erste Ziel erreicht hatte: Die Racheengel glaubten mir und waren bereit, sich Naguals Vorschlag anzuhören. Er verlor nicht viele Worte. Jeder von ihnen wusste, was es bedeutete, wenn einem Engel die Seele geraubt wurde. Was den Zirkel mehr erregte, war Gabriella – nicht, dass sie noch lebte, obwohl sie zum Tode verurteilt war, sondern wozu Sanctifer sie gemacht hatte. Wüste Beschimpfungen machten die Runde. Schuldzuweisungen wurden ausgesprochen. Schnell schaukelten sich die Racheengel hoch, bis ich eine Meute wild entschlossener Krieger vor mir sah. Sie würden sie jagen. Kein Wunder, dass Christopher den Zirkel nicht informiert hatte. Er wollte Gabriella retten, nicht töten.
Ich verkrümelte mich in die hinterste Ecke des Altarraums. Die aufgebrachten Racheengel machten mich nervös. Ich wollte warten, bis sich die Feindseligkeiten ein wenig gelegt hatten.
Schließlich verlor ich die Geduld. So, wie es aussah, würden sie ewig darüber streiten, wer und ob nur einer oder zwei von ihnen Gabriella zur Strecke bringen sollten – dass Sanctifer noch einen weiteren Racheengel in seinem Palast gefangen hielt, war nicht einmal zur Sprache gekommen. Vermutlich, weil Christopher von der Dogin nicht zum Abschuss freigegeben war – ein Gedanke, der mich rasend machte.
Meinen Sprung auf den schwarzen Altarstein bemerkte nur Daragh. Anstatt weiter mit Nagual zu streiten, zog er seine wikingerroten Augenbrauen zusammen, was ihn noch grimmiger wirken ließ. Ich schluckte meine aufkommenden Zweifel, atmete tiefdurch und ließ meine Flügel erscheinen. Mein Auftritt zeigte Wirkung. Die plötzliche Stille jagte mir eisige Gänsehaut über den Rücken. Der Blick in die Gesichter der Racheengel verriet mir, dass ich Angst haben sollte. Ihr Misstrauen war offensichtlich. Sie wussten, was es bedeutete, wenn ein Racheengel seine Flügel verlor. Meine Anspannung stieg. Doch was ich zu sagen hatte, war wichtig. Gut, dass ich die volle Aufmerksamkeit des Zirkels besaß.
»Es geht hier nicht darum, einen Schatten zur Strecke zu bringen. Und bestimmt hat Sanctifer in seinem Palast auch keine dunklen Engel einquartiert, um sich an ihrem Aussehen zu erfreuen.« Es gefiel mir nicht, dass die Racheengel es einfach so hinnahmen, was Sanctifer in seinem Palast sonst noch so trieb. Auch wenn es vielleicht üblich war, dass Engel sich Macht erkauften – zumindest einige von ihnen.
»Mit Christopher hat Sanctifer jetzt zwei Racheengel, die sich seinen Wünschen beugen. Doch Christopher ist nicht bei ihm, um ihn zu unterstützen. Er kennt seinen einstigen Mentor und weiß, wie hinterhältig er ist. Er ist zu ihm gegangen, um ihn daran zu hindern, dass er zu einer Gefahr wird. Wir müssen nicht Gabriella, sondern Sanctifer stoppen. Sein dämonisches Wesen ist viel mächtiger als ihres.«
Alle Augen waren auf mich gerichtet. Hatte ich mich vergaloppiert? Mein Selbstvertrauen stürzte in sich zusammen. Selbst Nagual beäugte mich mit einem ungläubigen Blick. Aber vielleicht war er ja auch nur überrascht, weil ich so mutig war – oder so unvorsichtig.
»Wie kommst du darauf, dass Sanctifer eine dämonische Seite besitzt?« Daraghs hellblaue Augen durchbohrten mich. Mein Mut schrumpfte auf Staubkorngröße.
»Ich … konnte seine Besessenheit spüren, als er den letzten Rest von Massimos Seele an sich riss«, stammelte ich.
»Keiner von uns konnte bei Sanctifer jemals etwas wahrnehmen. Und seine letzte Überprüfung vor der Wahl zum Ratsmitgliedist gerade mal ein paar Monate her. Du musst über besondere Talente verfügen.« Magdalena hielt mich für eine Lügnerin.
»Vielleicht weil ihre dämonische Seite mehr verbirgt, als wir vermuten konnten.« Berejide spielte auf meine neuen Flügel an. »Wie ich gehört habe, hat ihr Tutor sie nicht in ihren Schatten gezwungen. Offensichtlich ist er davor zurückgeschreckt.«
Eisige Fesseln legten sich um meinen Kopf. Mindestens zwei Racheengel – der Intensität nach vermutlich alle außer Nagual – versuchten gerade, mich näher zu erkunden. Mein Körper reagierte mit Sehstörungen und heftigen Kopfschmerzen. Ich schwankte. Der Altar schrumpfte unter mir zusammen. Alle vier gleichzeitig abzuwehren überforderte mich.
»Genug«, beendete Nagual den Wettstreit. »Sie
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