Fluch der Engel: Roman (German Edition)
darauf, dass er hierbleiben würde, bis ich zurückkam.
Mein Gefühl führte mich zu dem Tunnel, durch den Gabriella die Krypta betreten hatte. Je näher ich dem Unterwasserzugang kam, umso eisiger wurde die Kälte – und umso übler der Gestank. Mein Instinkt hatte mich richtig geleitet. Etwas Dunkles war durch den Tunnel in der Kanalwand gekrochen. Dass es bereits in der Krypta stand, damit hatte ich allerdings nicht gerechnet.
Eigentlich hätte jetzt eine Waffe in meiner Hand erscheinen müssen, doch ich war viel zu perplex. Als hätte jemand meine Füße festgeklebt, stand ich da und beobachtete, wie der dunkle Engel versuchte herauszufinden, welcher Flur ihn am schnellsten zu Christopher bringen würde.
Mich entdeckte er genau jetzt!
Seine ledernen Schwingen drohend über seinem aalgrauen Körper erhoben, fixierte er mich wie ein Krokodil eine ahnungslose Gazelle. Als seine seelenlosen Augen rot aufglühten, rannte ich los. Zu Christopher. Um seine verletzte Engelseele vor dem dunklen Wesen zu schützen und ihn in der Basilika in Sicherheit zu bringen – und stolperte einen Raum weiter direkt in seine Arme.
Mein Herz trommelte in einem ungesunden Rhythmus. Christopher würde gegen den dunklen Engel kämpfen, sein Dämon würde erwachen und ich ihn verlieren.
Doch anstatt sich auf Sanctifers Geschöpf zu stürzen, sah Christophernur mich an. In seinen Augen lag eine Angst, die mein Herz überlaufen ließ. Er fürchtete nicht, dass er, sondern dass ich meinem Racheengelinstinkt folgen und jagen würde. Die Unnachgiebigkeit, mit der er meine Taille umfasste, mich in einen schmalen Nebenflur schob und durch die verwinkelte Krypta steuerte, bewies mir, wie sehr er mich liebte. Er wollte mich nicht verlieren – ich wusste genau, wie sich das anfühlt.
Vor den Überresten einer Treppe und einem schwarzen Steinhaufen, der noch vor kurzem in der Basilika als Altar gedient hatte, blieb Christopher stehen. Nagual musste ihn gesprengt haben. Vermutlich hatte Gabriella den Zugang zur Krypta blockiert, bevor sie mich holen kam.
Christophers irisierende Flügel erschienen. Fragend sah er mich an.
Ich brachte kein Wort heraus, nickte nur und ließ mich von ihm in die Arme nehmen, damit er mich durch die Öffnung nach oben fliegen konnte. Ihn als Engel vor mir zu sehen, überschwemmte meine Sinne wie tausend Glücksmomente. Dass Christopher die Zähne zusammenbiss, aber ansonsten unbeschadet die versiegelte Öffnung überwand, trieb mir Freudentränen in die Augen: Er hatte es geschafft und den Schatten in sich besiegt.
Wir fanden Nagual im Nebentrakt der Basilika, wo er die Engelsbarriere verstärkte, hinter der er die schlafende Lucia in Sicherheit gebracht hatte. Magdalena und Berejide waren zu Liao aufgebrochen, der Sanctifers Insel überwachte. Und Daragh berichtete der Dogin in ihrem Palast nebenan, was geschehen war.
Nagual bat mich, nach Paul zu sehen. Er wollte allein mit Christopher reden. Als ich zögerte, drückte Christopher mir einen Kuss auf die Stirn und versprach, gleich nachzukommen. Und obwohl mir ein wenig mulmig zumute war, die beiden Racheengel allein zu lassen, ging ich Paul suchen. Er war verletzt. Vielleicht brauchte er Hilfe.
Ich fand ihn auf dem Balkon der Basilika. Über der eingerissenen Stelle an seinem Flügel schimmerte ein rosafarbenes Band,das mich an meine Plüschflügel erinnerte. Ein Grinsen huschte mir über die Lippen.
»Daragh hat es gewoben, und ich habe nichts gegen Rosa«, erklärte Paul, als er bemerkte, dass ich auf das Band starrte. »Es beschleunigt den Heilungsprozess.«
»Und vertreibt den Schmerz?« Dass Paul sich mit seinen Händen an der Brüstung abstützte und sich nicht zu mir umdrehte, ließ mich Übles ahnen.
»Dagegen hilft es auch ein wenig. Fliegen geht allerdings nicht besonders gut. Vielleicht haben sie mich deshalb aus der Basilika verbannt«, bemerkte er trocken – wie mich , fügte ich in Gedanken hinzu. »Aber anscheinend bin ich nicht der Einzige. Ist alles …« Paul stockte mitten im Satz.
Auch ich erkannte Magdalenas saphirblau leuchtende Engelschwingen neben dem weißen Flügelpaar am westlichen Horizont. Ich hielt den Atem an. Eine dunkle Sturmwolke folgte ihnen. Der Geschwindigkeit nach, mit der Magdalena und ihr Begleiter auf die Basilika zuhielten, waren sie auf der Flucht. Aber nicht nur Magdalena schien in Bedrängnis zu sein.
Am südlichen Himmel entdeckte ich Liao und Berejide. Unter ihnen toste das Meer. Doch es war kein Sturm,
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