Fluch der Engel: Roman (German Edition)
getrunken, während ich beinahe …«
»Bist du aber nicht! Und was das Einschätzen von Gefahr angeht, verfüge ich über mehr Erfahrung als du. Oder willst du das etwa abstreiten?« Aron versuchte, mich mit seiner Frage in die Enge zu treiben.
»Nein. Allerdings wird Christopher das sicher anders sehen«, hielt ich dagegen.
Zornesfalten erschienen auf Arons Stirn. Mit dem Auftrag, das Prisma zu Coelestin zurückzubringen, schickte er Paul aus dem Raum – ein Vorwand, damit er allein mit mir reden konnte.
» Ich bin dein Tutor, nicht Christopher«, erinnerte Aron mich daran, wer über meine Ausbildung bestimmte. »Wenn er etwas dagegen einzuwenden hat, wie ich die Dinge regle, soll er mir das selbst sagen. Es kann auch ein anderer Engel deinen Flugunterricht übernehmen«, schob er die Drohung gleich hinterher.
Ich machte auf dem Absatz kehrt. Mir Christopher wegzunehmen war das Schlimmste, was Aron mir antun konnte – und das wusste er ganz genau. Doch Aron ließ nicht zu, dass ich entkam, und stellte sich mir in den Weg.
»Lynn, du kannst nicht jedes Mal das Weite suchen, wenn es eng wird.«
»Das tue ich nicht! Sonst hätte ich die Prüfungen niemals bestanden.«
»Das stimmt«, gab Aron zu. »Doch sobald es mehr als bloßen Mut erfordert, kneifst du und rennst davon oder tust etwas Unüberlegtes. Doch die Stärke eines Engels liegt nicht darin, wie er seine Waffe führt, sondern darin, wie gut er sich selbst kennt.«Aron sprach nicht nur von mir. »Handle wie ein Engel und ziehe Kraft aus deinen Stärken!«
»Und wie?«, fragte ich bedrückt. Erst gestern hatte ich nach meinen Stärken gesucht und beinahe den Schatten heraufbeschworen.
»Vertraue deinen Gefühlen. Sie helfen dir, dein Dämonenerbe zu zügeln. Dein Mitgefühl für Paul, deine Liebe zu deinen Eltern und Freunden – aber vor allem zu Christopher.«
»Und meine Wut, meinen Hass und das Gefühl, das mich dazu bringt, dir etwas in den Bauch zu rammen«, widerlegte ich Arons Behauptung.
»Lynn, ich meine nicht das, was dir ohnehin schon im Blut liegt. Es sind die Gefühle, die deine Spezies nicht gerade im Übermaß besitzt, die dich auszeichnen. Deine Fähigkeit, zu lieben, das Fingerspitzengefühl für den richtigen Zeitpunkt, zu dem du zwei Engel davon abhältst, sich zu zerfleischen. Der Engel in dir wurde eben erst erweckt, und es ist schon so viel Licht in dir. Kein Wunder, dass auch der Rat erkannt hat, welche Gefahr in dir schlummert.«
Ich wollte Luft holen, um Aron zu widersprechen, doch er kam mir zuvor.
»Du wirst vielleicht nicht der beste Kämpfer oder der skrupelloseste Jäger unter den Racheengeln sein – doch davor fürchten sie sich auch nicht. Es ist deine Gabe, einen Racheengel beschwichtigen zu können, die ihnen Angst macht.«
»Und … und dir?« Auch Aron war ein Engel.
Arons Augenfarbe veränderte sich. Ein warmer Schimmer erhellte das Grau, als er antwortete. »Es ist die Angst vor dem Unbekannten, die wir fürchten. Christopher besser kennenzulernen hat mir geholfen, das Wesen eines Racheengels zu begreifen. Aber erst seitdem ich dich unterrichte, ist mir klargeworden, dass viel mehr in euch steckt. Nicht nur euer dämonisches Wesen ist beängstigend. Auch eure Gefühle sind mächtiger als unsere. Euer Hass ist intensiv, eure Art, zu töten, grausam und unerbittlich, doch die Liebe, die ihr empfindet, ist vollkommen. Christopher würde für dich durch die Hölle gehen – und du für ihn.«
Arons Worte machten mich schwindelig. Zu Sanctifer zu gehen und das Christopher zu verschweigen entsprach genau diesem Ritt in den Abgrund.
»Wenigstens weißt du jetzt, dass deine Träume nicht von der Totenwächterin stammen. Und ich weiß, wo dein eigentliches Problem liegt, wenn Christopher dich in deinen Träumen als Monster küsst: Du gibst zu viel und nimmst zu wenig. Deshalb konnte die Totenwächterin dich so leicht zu sich locken, obwohl du meilenweit von ihrem Reich entfernt bist. Du warst ungeschützt, nachdem Christopher dich wieder auf Normaltemperatur gebracht hat – ich vermute, nicht nur mit Händchenhalten.«
»Willst du damit etwa sagen, dass er mich nicht mehr küssen soll?!«
»Zumindest eine Zeitlang solltet ihr das bleibenlassen, damit du bei deiner Ausbildung zum Engel nicht vorzeitig schlappmachst. Aber jetzt gehst du erst mal ins Internat zurück und versuchst, ein wenig zu schlafen – traumlos hoffentlich.«
Geknickt schleppte ich mich die Treppe zu meinem Zimmer nach oben. Dass
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