Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Christopher mich im Flur abpasste und mit einem innigen Kuss begrüßte, der mich beinahe ins Koma stürzte, hellte meine Stimmung nur wenig auf. Mein Leben als Engel verlief nicht gerade so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Als ich noch ein Mensch war, trennten Christopher und mich Welten. Jetzt trennte uns ein Gesetz, weil wir ein und dasselbe waren.
Kapitel 7
Rapunzelturm
S eine Augen verrieten, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Wie jeden Morgen wartete Christopher im Flur vor meinem Zimmer auf mich. Allerdings begrüßte er mich diesmal nicht mit einem erwartungsvollen, sondern mit einem vorwurfsvollen Blick. Das miese Gefühl, das mit Sanctifer zusammenhing, tauchte sofort wieder auf. Doch Christopher wäre vermutlich nicht mehr hier, wenn er von meiner Verabredung wüsste.
»Und? Hast du gut geschlafen?«, fragte Christopher mit einem undefinierbaren Lächeln. Ich atmete ein wenig auf. Darum also ging es – um meine Albträume.
»Wie immer«, antwortete ich so beiläufig wie möglich.
»So schlecht?« Christophers Lächeln verschwand. »Warum bist du nicht zu mir gekommen, sondern stattdessen zu Aron gegangen?« Ob er besorgt, enttäuscht oder doch wütend war, konnte ich nur erahnen.
Ich entschied mich, das Ganze herunterzuspielen.
»Mentalunterricht gehört nun mal zu Arons Aufgaben. Außerdem bist du für gewisse Engel sowieso schon viel zu oft mit mir zusammen.« Den Zusatz hätte ich besser weggelassen. Hellstes Jadegrün erschien in Christophers Augen – ihn an das Engelsgesetz zu erinnern war ein Fehler.
»Dann weißt du sicher auch, was Aron sich ausgedacht hat«, mutmaßte er.
»Ich denke schon. Aber ich habe nicht vor, Arons Wunsch zu befolgen«, säuselte ich und schmiegte mich an Christopher, um ihm mit einem Kuss zu beweisen, dass ich es ernst meinte – doch er hielt mich auf Abstand.
»Aron hat mir ein offizielles Pergament geschickt. Er hat mir verboten, dir zu nahe zu kommen, damit du über genügend Engelsmagie verfügst, um seinem Unterricht standzuhalten. Sollte ich mich nicht daran halten, wird er deinen Flugunterricht selbst übernehmen.«
»Das … das glaube ich nicht! Aron will unsere gemeinsamen Wochenenden streichen, falls ich schwächle ?«
»Genau das hat er vor!«
Christopher hielt sich an Arons Anweisungen – was uns beiden schwerfiel. Ich wiederum versuchte, meinen Tutor davon zu überzeugen, sein Zu-nahe-kommen-Verbot zu widerrufen. Aron stellte mir in Aussicht, es sich zu überlegen – natürlich nur, wenn ich hart trainierte und seine Erwartungen erfüllte.
Ich gab mein Bestes: hing an Oktavians Lippen, als er in seinem MacGyver-Kurs über die verschiedenen Arten von Engelsmagie referierte, befolgte Arons Anweisungen im Kraftraum, ohne zu murren, und kämpfte gegen Ekin, als hänge mein Leben davon ab. Und obwohl Aron nicht gänzlich zufrieden mit mir war, lenkte er am Ende der Woche ein und gab sein Okay für das Flugtraining mit Christopher.
Als hätten sie und nicht Aron mir die Erlaubnis gegeben, umarmte ich nach Schulschluss Marisa und Juliane, um mich zu verabschieden, stürmte aus dem Internat und saß noch vor Christopher im Taxi, das mich von der Enge des Schlosses und Arons kräftezehrendem Unterricht befreien würde. Die Fahrt dauerte nicht lange. Schon vor dem nächsten Dorf bat Christopher den Taxifahrer anzuhalten. Er bezahlte ein fürstliches Trinkgeld und wartete, bis das Auto hinter der nächsten Kurve verschwunden war.
»Wohin bringst du mich?« Langsam wurde ich nervös, konnte ich es doch kaum erwarten, Christopher zweieinhalb Tage lang für mich allein zu haben.
»Ich weiß, Geduld ist nicht gerade deine Stärke. Aber wir müssenerst ein bisschen gehen, dann etwas Auto fahren und danach noch einmal gehen«, antwortete er geheimnisvoll. Er brachte mich zu einem schneebedeckten Waldparkplatz, wo ein Landrover auf uns wartete, mit dem wir ins Niemandsland fuhren. Außer verschneiten Bäumen, ein paar Wiesen und zugefrorenen Seen gab es hier nichts. Kein Dorf, kein Haus, nicht mal mehr eine anständige Straße. Gut, dass Christopher ein souveräner Fahrer war.
Schließlich gelangten wir mitten im Wald zu einer hohen Steinmauer und passierten ein elektrisches Edelstahltor. Ein Gebäude, oder wenigstens eine Hütte, entdeckte ich nirgends.
»Soll das eine Art Überlebenstraining werden, oder kommt da noch was?«, fragte ich unruhig, als Christopher das Auto abstellte, weil die Bäume zu dicht beisammenstanden, um mit dem Rover
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