Fluch der Engel: Roman (German Edition)
gebrauchen könnt«, antwortete Aron. »Und ihn vor dir zu beschützen steht nicht auf Lynns Lernplan. Das, was unten liegt, allerdings schon. Ich hab dir was mitgebracht, damit du dich auf dein Abitur vorbereiten kannst.«
Beim Blick über die Brüstung entdeckte ich ein Dutzend Ordner und Bücher. Mein idyllisches Wochenende bekam Risse. Aron hatte all meine Lernsachen auf dem Bett ausgebreitet.
»Danke, Aron. Du verstehst es wirklich, deine Schüler zu motivieren. Dann wirst du sicher auch kein Problem damit haben, wenn ich hier oben lerne. Unten ist es zu dunkel und einen Tisch gibt es dort auch nicht.«
»Netter Versuch, aber nein. Licht kann ich dir besorgen und eine Schreibunterlage auch. Aber ich bin nicht gekommen, um dir beim Lernen zuzusehen, sondern beim Fliegen.« Aron wandte sich an Christopher. »Am besten ihr beginnt mit einem Tandemflug, damit sie ein Gefühl für den Turm bekommt.«
Christophers Unterkiefer malmte. Anweisungen entgegenzunehmen lag ihm nicht. Es grenzte an ein Wunder, dass er dennoch gelassen blieb und einfach nur seine wundervollen Flügel ausbreitete. Meine brauchten ein wenig mehr Motivation als bloßen Willen. Ein Blick in Christophers erwartungsvolles Gesicht schenkte mir Zuversicht, der Blick nach unten gab den auslösenden Reiz. Während Aron sich ein Schmunzeln verkniff, blieb Christophers Miene blank, als sich meine rosafarbenen Plüschflügel entfalteten. Ich war mir trotzdem sicher, dass er zumindest innerlich grinste.
»Vielleicht sollte ich sie mir abfackeln und darauf hoffen, dass sie in einer anderen Farbe nachwachsen. Oder gibt es ein Färbemittel für Flügel?«, wandte ich mich an Aron. Sein Grinsen verschwand.
»Du wirst dich an sie gewöhnen. Färben geht nicht, da sie mit Hilfe von Engelsmagie gewoben sind, und dass sie in einer anderen Farbfrequenz nachwachsen, ist selten – falls sie überhaupt nachwachsen. Flügel gehen nicht grundlos in Flammen auf, weshalb ich sie dir auch nicht abfackeln kann, sondern nur abschlagen. Allerdings habe ich nicht vor, mir einen Racheengel zum Todfeind zu machen.«
»Was bei einer Bitte ja wohl kaum der Fall wäre.«
»Christopher würde mich bis ans Ende der Welt jagen und du wahrscheinlich auch, sobald du dich von den Folgen erholt hättest.«
»Es gib nur wenig, das schmerzhafter ist, als seine Flügel zu verlieren«, ergänzte Christopher, der schon oft mit ansehen musste, wenn ein Engel seine Flügel verlor – denn nur so konnte ein Engel getötet werden.
»Außerdem finde ich, dass deine sehr gut zu dir passen.« Aron grinste wieder. »Auf den ersten Blick wirken sie harmlos – genauwie du. Aber genug Zeit vertrödelt! Lass mich sehen, wie du dich als Fluglehrer machst«, forderte er Christopher auf, mit dem Training zu beginnen – wenn Aron so weitermachte, würde sein Freund demnächst ausrasten.
Mit auffälliger Gelassenheit schob Christopher den Tisch an die Brüstung, kletterte hinauf und bot mir seine Hand an, um mich hinaufzuziehen. Auf Christophers flügelbewehrten Rücken zu klettern war alles andere als einfach. Sobald meine Schwingen seine Flügel berührten, wollten sie einfach nicht stillhalten. Aron beobachtete uns erst schweigend, dann kopfschüttelnd. Schließlich mischte er sich ein.
»Lynn, denk an irgendetwas: an Blumen oder Schmetterlinge, von mir aus auch an tote Fische – nur nicht an Chris. Es sei denn, du willst lieber mit mir fliegen. Du bist viel zu abgelenkt!«
Arons Drohung half. Meine Flügel hörten auf zu beben. An Christopher dachte ich dennoch – schließlich umklammerte ich seinen Körper und roch diesen unverwechselbaren Engelsduft.
»Achte beim Landen auf meine Flügelstellung«, bat Christopher, bevor er sich abdrückte, kurz an Höhe gewann und sich in einer langsamen Spirale durch die geräumige Windmühle mit mir in die Tiefe gleiten ließ. Auch wenn der Flug nur kurz war, genoss ich das berauschende Gefühl, mit ihm zu fliegen. Ich hätte glatt die Landung verpasst, wenn er mich nicht ermahnt hätte, den Winkel meiner Flügel seinem anzupassen – wie so oft benebelte seine Nähe meine Sinne.
»Da das ja nicht dein erster Flug war, machst du den nächsten ohne Christopher«, entschied Aron, nachdem er neben uns gelandet war. »Soll ich sie nach oben bringen oder willst du das übernehmen?«
»Ich!«, lautete Christophers knappe Antwort. Das helle Grün in seinen Augen hatte ich mir bestimmt bloß eingebildet. Oder war er sauer, weil Aron wollte, dass ich allein
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