Fluch der Engel: Roman (German Edition)
weder deine SMS beantwortest noch an dein Handy gehst (hast du vergessen, den Akku aufzuladen?), bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir einen Brief zu schreiben. Es ist toll hier! Ich hab mir eine Auszeit genommen und schau mir gerade meine neue Uni an. Lucinda hat mich überredet, nach demSommersemester die Uni zu wechseln, damit wir uns nicht nur in den Ferien sehen können. Sie hat schon ein Apartment besorgt, mit gigantischem Blick auf die Lagune! Du musst es dir unbedingt ansehen. Am besten gleich in den Osterferien. Ich kann dich nach der Prozession in Sulmona mitnehmen. Du wirst begeistert sein! Lad dein Handy auf und ruf mich an oder schreib eine SMS. MeineNummer kennst du ja hoffentlich noch.
Philippe, demnächst Student in Venedig
PS: Wie läuft dein Abi?
Philippes krakelige Schrift verschwamm vor meinen Augen. Venedig! Sanctifer hatte ihn zu sich geholt.
Mit zitternden Fingern kramte ich mein Handy aus der Schreibtischschublade. Philippe hatte recht, der Akku war leer. In letzter Zeit hatte ich immer vom Sekretariat aus telefoniert. Das Schlossgelände zu verlassen, um eine Stelle zu suchen, wo es keine funklocherzeugende Engelsmagie gab, war zeitraubend.
Mit einem unguten Gefühl im Bauch lief ich ins Sekretariat – schließlich lag ein Notfall vor. Doch das Einzige, was ich hörte, war: » Il cliente da lei chiamato non é al momento raggiunagibile .« Verflucht, Philippe hatte kein Netz!
Meine Furcht drängte mich, Christopher alles zu beichten. Mein Verstand riet mir, Aron aufzusuchen. Ich fand ihn in der Mensa im Schloss der Engel. Aron drängte mich, an einem abseitsstehenden Tisch Platz zu nehmen. Eilig überflog er Philippes Brief, roch daran, hielt ihn gegen eine der großen Fensterscheiben und prüfte das Schriftstück auf seine Echtheit.
»Und?«, fragte ich mit zitternder Stimme.
»Der Brief ist echt. Wahrscheinlich ist dein Freund in Venedig.«
»Bei Sanctifer?«
»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete Aron besonnen, während ich kurz davorstand, die Nerven zu verlieren.
»Du hast mir versprochen, dass meine Freunde unter ganz besonderem Schutz stehen«, zischte ich. »Ist Philippes Schutzengel so blöd, dass er ihn ein zweites Mal nach Venedig lässt? Oder ist dir etwa entgangen, dass Philippes Beschützer auf der falschen Seite steht?«
»Lynn, es ist nicht die Aufgabe eines Schutzengels, sich in die Entscheidungen eines Menschen einzumischen, solange er sich nicht in Gefahr begibt.«
»Ach?! Und als was würdest du Philippes plötzlichen Studienortwechsel sonst bezeichnen?«
»Als Zeichen seiner Zuneigung für seine Freundin.«
»Die ihn zufällig in Sanctifers Reichweite führt!«
»Du scheinst zu vergessen, dass Sanctifer ein angesehenes Mitglied des Rats der Engel ist.«
»Wenn du das so siehst.« Fassungslos stand ich auf und flüchtete aus der Mensa. Sanctifers Einfluss weitete sich aus. Doch dass selbst Aron diesen heimtückischen Engel verteidigen würde, damit hätte ich niemals gerechnet.
Aron holte mich ein, bevor ich das Schloss erreichte. Wut spiegelte sich in seinen Augen wider.
»Lynn, es reicht! Mit deinen Stimmungsschwankungen kann ich inzwischen ja umgehen, aber dass du mir vorwirfst, mit Sanctifer unter einer Decke zu stecken, geht entschieden zu weit! Dennoch ist er ein höchst einflussreicher Engel, dessen Macht du niemals unterschätzen solltest.«
»Und dem ich bald hilflos ausgeliefert bin, weil ich niemals rechtzeitig lernen werde, wie ich mich gegen ihn zur Wehr setzen kann!«
Aron presste seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammen, eine Geste, die bei ihm Seltenheitswert besaß. Normalerweise hielt er sich nicht zurück, wenn er sauer auf mich war – doch seine Antwort hätte nicht heftiger ausfallen können.
»Du hast vollkommen recht. Und damit du das Zur-Wehr-Setzen demnächst beherrschst, wirst du am Freitag auch nicht nach Hause fahren, sondern die vier Wochen bis zu deinem mündlichen Abitur im Schloss der Engel verbringen.«
Aron hatte meine Arme bereits hinter meinem Rücken verschränkt, noch bevor ich meinen Frust an ihm auslassen konnte. Erst als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, schickte er mich zurück – zu Christopher ins Internat, um ihm die frohe Botschaft zu überbringen.
Christopher wäre beinahe ins Schloss der Engel gestürmt, als ich ihm erzählte, dass Aron meine Osterferien gestrichen hatte. Gewaltsam hatte er mich zurück in den Putzraum geschoben. Seinen unterdrückten Zorn konnte ich selbst
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