Fluch der Engel: Roman (German Edition)
in dem flimmernden Licht der altersschwachen Glühlampe erkennen. Die Sanftheit, mit der er wissen wollte, warum ich mich widerstandslos Arons Willen beugte, hatte sich hässlich angefühlt. Zumal Aron mich, nachdemich das Thema Eifersucht und Christopher angesprochen hatte, nicht mehr beduftete . Doch die Enttäuschung in seinen Augen, weil ich Aron verteidigte, damit Christopher das Engelsgesetz nicht übertrat und Aron zur Rede stellte, war noch viel schrecklicher.
Aber was hätte ich anderes tun können? Christopher meinen eigenen Frust ins Gesicht schreien? Schließlich wusste ich ganz genau, warum Aron mich bei sich im Schloss haben wollte.
Arons Blick reichte, um mich endgültig zum Schweigen zu bringen. Meine Überredungskünste waren gescheitert. Weiterverhandeln hätte nichts gebracht, Aron allerhöchstens noch wütender gemacht.
Frustriert lief ich neben ihm den kleinen Bachlauf entlang. Meine Freunde feierten gerade das Ende des schriftlichen Abiturs. Selbst Christopher feierte mit – nur ich nicht. Weil Aron andere Pläne für mich hatte.
Die Grenze, die das Schloss der Engel umgab, bemerkte ich nur, weil Aron kurz zögerte. Offenbar schützte nicht Engelsmagie die Schule gegen dämonische Wesen, sondern etwas, das ähnlich funktionierte wie ein Weltenportal. Doch erst als ich im Gegenlicht der untergehenden Sonne den Hügel mit dem Steingrab entdeckte, wusste ich, welches Reich wir betreten hatten. Angst überfiel mich und hinderte mich am Weitergehen. Warum hatte Aron mich hierhergebracht? Warum ausgerechnet zu ihr?
»Was hast du vor?« Meine Stimme zitterte. Die Furcht vor dem Grab und ihrer Totenwächterin saß tief.
»Dich auf deinen Aufenthalt bei Sanctifer vorzubereiten. Das war es doch, was du wolltest.«
»Bei ihr?« Inzwischen flüsterte ich. Die Schreie der gefangenen Seelen hallten schon jetzt in meinem Kopf wider.
Aron blieb stehen und betrachtete mich ungläubig. »Auch wenn ein Teil von dir noch menschlich ist, die Totenwächterin kann dir nichts mehr anhaben. Du hast ihr Reich bereits passiert.«
»Und was soll ich dann hier?«
»Die Nacht in der Gruft verbringen.«
»Das … das kannst du nicht tun!« Mein Fluchtmodus aktivierte sich und suchte nach einem Ausweg.
Aron packte meine Schultern. Sein Griff wurde fester, sein Blick intensiv. »Die Totenwächterin hat ebenso große Angst vor dir wie du vor ihr. Solange du sie ihr nicht zeigst, bist du im Vorteil. Halte Blickkontakt, sobald sie auftaucht, und erinnere die Wächterin erst, wenn du ihre Gegenwart nicht mehr erträgst, an die Tatsache, dass du ein Racheengel bist. Dann wird sie dich in Ruhe lassen, egal, ob du wach bist oder schläfst. Aber davor versuchst du dahinterzukommen, wie sie sich in deine Träume stiehlt«, befahl Aron und drängte mich den Hügel hinauf, auf dessen Mitte das Steingrab thronte.
Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Doch Aron schob mich unerbittlich weiter. Erst als wir vor der schmalen Öffnung standen, die den Zugang zum Inneren der Totenstätte ermöglichte, blieb er stehen.
»Verlass dich nicht auf das, was du siehst, sondern auf deine Instinkte. Sie bemerken mehr als dein bewusstes Selbst«, erklärte er, während er sich das Seil, mit dem er mich hinablassen wollte, um die Hüften band. »Je schneller du erkennst, wie sie versucht, in deine Träume einzudringen, umso leichter kannst du dich ihr widersetzen.«
»Und wenn ich das nicht schaffe?«
»Dann kannst du morgen Nacht weiterüben«, antwortete Aron ungerührt und drückte mir eine Thermosflasche in die Hand. »Und jetzt zier dich nicht länger und klettere rein! Beim ersten Sonnenstrahl werde ich dich abholen.«
Der Skelettteppich begrüßte mich mit seinem morbiden Knirschen. Ausgebleichte Knochenreste verrutschten unter meinem Gewicht. Haltsuchend klammerte ich mich an der Laterne fest. Aron hatte sie mir freundlicherweise mitgegeben, damit ich sehen konnte, was auf mich zukam. Die Flamme loderte auf, erhellte dierauen Steinwände der Gruft und offenbarte, was mir bei meinem letzten Besuch entgangen war: ein hinter einer Wand aus Schädeln verborgener schmaler Spalt – der Zugang zur Welt der Totenwächterin.
Ich schluckte die Furcht, die meine Kehle zuschnürte, und beruhigte mich, dass Aron ja nichts von Betreten des Totenreiches gesagt hatte. Außerdem warteten Seelen, deren Schicksal noch nicht entschieden war, bei der Totenwächterin und nicht in der Vorkammer zu ihrem Reich.
Um den Anblick des Grabes
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