Fluch der Engel: Roman (German Edition)
einverstanden.
»Sieh mich an!«, verlangte er.
»Warum? Damit … damit ich sehen kann, wie sehr du mich verabscheust?«
»Nein, damit du erkennst, wie stolz ich auf dich bin! Deine Träume zu kontrollieren und der Totenwächterin zu entkommen ist dir trotz deiner Angst überraschend schnell gelungen.«
»Du hast mich zu ihr geschickt, um meine Angst heraufzubeschwören?!«
Mein dunkler Teil bekam neue Nahrung. Aron bemerkte es sofort. Sein lauernder Blick stachelte mich an. Dennoch bezwang ich meine dunkle Seite, noch bevor meine Spangen sich erneut aktivierten. Beeindruckt schenkte Aron mir ein Lächeln – ich brach in Tränen aus.
»Ich … ich beginne es zu akzeptieren, weil ich weiß, dass es mir Macht gibt«, stammelte ich. »Ich habe zugelassen, dass es mir hilft.«
»Aber nicht, dass es dich beherrscht. Dein Schatten ist im Moment deine einzige Waffe«, erklärte Aron mit einem leisen Seufzer. »Noch etwas, das du eigentlich beherrschen solltest, bevor du …« Er brach ab. Sorgenfalten zeigten sich auf seiner Stirn.
Dieses Mal ließ ich nicht locker. Aron hatte mir noch immer nicht verraten, wohin sein Training führen sollte.
»Sag mir endlich, was du vorhast!«
»Das werde ich, sobald ich mir sicher bin, dass Christopher nicht dahinterkommt.«
»Weil du befürchtest, dass er die Information aus meinem Hirn zieht, während ich schlafe?«
Ohne Vorwarnung erlosch die Laterne. Finsternis hüllte mich ein.
»Zeig mir, was du bei der Totenwächterin gelernt hast. Beweise mir, dass du erkennst, wann du manipuliert wirst«, flüsterte Aron irgendwo in der Dunkelheit.
Ein eisiger Hauch kroch meine Stirn entlang. Ich reagierte sofort und konzentrierte mich aufs Wachbleiben. Arons Sekundenschlaftrick ähnelte allzu sehr dem kalten Schleier, mit dem sich die Totenwächterin vor ein paar Minuten in meine Träume geschlichen hatte.
»Du konntest es spüren!« Ein Lächeln lag in Arons Stimme.
»Anscheinend war dein Experiment, mich in die Totengruft zu werfen, doch nicht ganz umsonst.«
»Dann können wir endlich mit dem Abwehrtraining beginnen.« Die Laterne flammte auf. Aron strahlte tatsächlich. Offenbar hatte ich ihm gerade einen der vielen Steine von der Seele genommen, die er meinetwegen mit sich herumtrug. »Aber zuerst solltest du ein wenig Schlaf nachholen.«
Aron brachte mich auf mein Zimmer ins Schloss der Engel zurück. Eine Kuscheleinheit mit Christopher hätte mich schneller wieder aufgebaut als ein hundert Jahre dauernder Dornröschenschlaf. Das Auf und Ab meiner Gefühle brannte mich völlig aus. Wenigstens hatte Aron mir nicht verboten, an Christopher zu denken – vermutlich stand das als Nächstes auf seiner Liste.
Wie so oft spiegelten sich meine Sorgen um Christopher in den Träumen wider, die Aron mir seit zwei Wochen jeden Abend mit Hilfe des Traumtees auf dem alten Burghügel aufzwang. Auch wenn er sie nicht mehr mitverfolgen konnte, mir anzusehen, dass ich im Schlaf mit den Tränen kämpfte, war nicht besonders schwer – zumal es mir heute nicht länger gelang, sie zurückzuhalten, und ich mitten in der Nacht mit einem Schluchzen erwachte.
»Lynn, was ist los?«, fragte Aron, während er mir die Tränen aus dem Gesicht wischte.
»Nichts, ich …«
»Lynn, lüg mich nicht an.« Arons Stimme blieb sanft.
»Und warum nicht?«, zischte ich. »Christopher soll ich ja auch belügen!«
Wütend und völlig überfordert durchbrach ich den Kreis der Linden, rannte hinüber zum Schloss und zurück in meine alte Welt. Seit meinem Besuch bei der Totenwächterin quälte Aron mich mit Albträumen, um meine Abwehr zu festigen. Ich brauchte Abstand von ihm und seinem harten Training, wenigstens für ein paar Stunden. Aber vor allem brauchte ich ein wenig Wärme. Die Osterferiengingen heute zu Ende, und ich wusste, dass Christopher die Zeit bis zum mündlichen Abitur auf dem Internat verbringen würde.
Der zerstörte Spiegel im Keller hielt mich auf. Trotz der tausend Sprünge sah ich die Verzweiflung in meinen dunklen Augen. Sollte Christopher mich so sehen, würde er die Wahrheit aus mir herauspressen – oder ins Schloss der Engel zu Aron stürmen. Keines davon durfte ich zulassen.
Niedergeschlagen verkrümelte ich mich auf ein altes, von vergilbten Tüchern geschütztes Sofa, schloss die Augen und zwang meine Tränen zurück. Mein Selbstmitleid war jämmerlich. Hätte ich Christopher – oder wenigstens Aron – vertraut, müsste jetzt niemand irgendwelche Fehler ausbaden. Meine
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