Fluch der Engel: Roman (German Edition)
die Tür, den anderen flocht er mitten durch den Raum. Er rechnete damit, dass ich meine Schattengestalt annahm – sonst würde er die Schutzwände nicht brauchen.
Ich verbarg mein Gesicht zwischen den Knien, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie Aron mein Gefängnis errichtete. Viel zu greifbar fühlte ich bereits diese heimtückische Kälte, die ich bei meiner ersten und einzigen Verwandlung in mir gespürt hatte. Bösartig stärkte sie den dunklen Teil in mir.
Meine Angst erdrückte mich. Bald würde sie den Engel verschlingen. Doch ich wollte kein Schattenengel werden. Niemals wieder!
Die Matratze neben mir senkte sich. Vorsichtig legte Aron einen Arm um meine Schultern. Leise, wie zu einem verängstigten Kind, begann er auf mich einzureden.
»Lynn, ich habe die Schutzwände aktiviert, da ich sicher sein muss, dass niemand herausfindet, was ich dir beibringen will.«
»Dazu brauchst du eine Schutzbarriere?«, fragte ich.
»Es ist gefährlich, einem Racheengel zu zeigen, wie er sich vor seinem Tutor schützt.«
Ich sah auf – und fand nichts als Aufrichtigkeit in Arons Zügen. »Und warum tust du es dann?«
»Weil ich dir vertraue. Du wirst dich nicht in ein Monster verwandeln, das der Dunkelheit huldigt!«
»Und warum bist du dir da so sicher?«
»Weil du lieben kannst. Du hast erkannt, dass Liebe mächtiger ist als die Dunkelheit. Sie macht dich stark und beschützt deine Engelseele. Schon allein der Gedanke an Christopher hat dich jedes Mal wieder zurückgebracht.«
»Und warum ist es dann gefährlich, mir zu verraten, wie ich mich vor dir schützen kann?«
»Weil das für uns Engel die einzige Möglichkeit ist, einen Racheengel zu bezwingen.« Aron wirkte nicht glücklich, diese Macht zu besitzen.
»Kennt Christopher dieses Geheimnis?«
»Nein, und es würde ihm auch nichts nützen. Er war zu oft ein Schattenengel. Sich seinen Instinkten zu widersetzen würde ihm nicht mehr gelingen.«
Ein übler Gedanke erhob sich in mir. »Werden Racheengel deshalb von ihren Tutoren in ihre Schattengestalt gezwungen?«
»Das ist einer der Hauptgründe«, bestätigte Aron meinen Verdacht. »Und inzwischen bin ich unglaublich froh, dass ich das bei dir nicht getan habe.«
Widerstandslos fügte ich mich, als Aron mich bat, eine der Verknotpositionen einzunehmen. Sein Vertrauen überforderte mich. Er hatte nicht vor, aus mir ein Monster zu machen. Im Gegenteil. Er wollte mir die Freiheit über meinen Schatten schenken.
»Doch bevor ich dich einweihe, musst du noch etwas anderes lernen. Sanctifer wird nicht zimperlich sein. Er wird dir weh tun, um dich gefügig zu machen«, erklärte Aron, während er mich umrundete, um meine Haltung zu kontrollieren.
Ich ahnte, was mir bevorstand, und starrte zu Boden. Aron sollte nicht sehen, wie sehr ich mich fürchtete. Doch er durchschaute mich. Er spürte, dass ich Angst hatte. Um mir ein wenig Zeit zu geben, mich zu sammeln, begann er zu erzählen, was er vorhatte.
»Es gibt verschiedene Methoden, ein Wesen zu brechen. Folter ist eine davon. Doch viel schwieriger, als körperlichen Schmerz zu ertragen, ist es, zugleich einem mentalen Angriff standzuhalten. Engel stärken ihre lichte Seite, um sich abzuschirmen – gegen beides: den Schmerz und den Eindringling. Doch bei dir ist das ein wenig komplizierter.«
»Weil die lichte Seite bei einem Engel wie mir nicht stark genug ist«, mutmaßte ich.
»Nein, weil der dunkle Teil eines Racheengels übermächtig ist. Doch es gibt ebenso viel Helles wie Dunkles in dir, du musst es nur suchen, das Licht deiner Engelseele«, korrigierte Aron meine Antwort. »Die Kunst eines Racheengels liegt darin, seine beiden Seiten auszutarieren, ohne dem dämonischen Teil zu viel Raum zu geben. Denn er befähigt euch, mehr Engelsmagie aufzunehmen als unsereins – einer der Gründe, warum wir euch fürchten.«
»Und warum noch?«, hakte ich nach.
»Wegen eurer Unberechenbarkeit, welchen Teil ihr damit stärkt.«
Mir wurde übel – auch ich hatte meinen Schatten gestärkt.
Unruhig begann Aron, vor mir auf und ab zu gehen. Das Gewölbe des Kerkers verstärkte den Klang seiner Schritte. »Dein Schatten drängt hervor, wenn du nach deiner Macht greifst. Er gibt dir Stärke, wenn du dich widersetzt, weil du auf deinen dämonischen Teil schneller zugreifen kannst. Doch sobald dein Schatten dich beherrscht, bist du so leicht zu kontrollieren wie Feuer in einem Kamin.«
»Ist es das, was Sanctifer will? Mich brechen, um meinen Schatten
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