Fluch der Engel: Roman (German Edition)
gesehen, stand Aron auf der anderen Seite des Portals und funkelte mich böse an.
»Und, hast du deine Nacht mit Christopher genossen? Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass du keine vier Wochen durchhältst, ohne Trost bei ihm zu suchen«, schnauzte er mich an. »Vor ein paar Monaten hast du dich dafür entschieden, meine Anordnungen zu befolgen, um Christopher zu schützen – oder hast du das vergessen?«
»Nein, das habe ich nicht«, antwortete ich bedrückt.
»Gut. Erinnere dich an dein Versprechen, wenn du wieder einmal zweifelst. Die nächsten Wochen werden hart.«
Waren sie das nicht schon? Aron bemerkte, wie es mich schauderte. Mitleid spiegelte sich in seinen Zügen wider.
»Was ist passiert?« Als ich mit einem »Nichts« antwortete, drückte er mich auf den Zwilling des Sofas, auf dem ich die halbe Nacht verbracht hatte. »Das nehme ich dir nicht ab.«
Ich seufzte ergeben und begann zu erzählen. Arons Miene hellte sich kurz auf, als er erfuhr, dass ich Christopher aus meinen Träumen ausgesperrt hatte. Doch als ihm klarwurde, dass Christopher und ich uns im Streit getrennt hatten, betrachtete er mich mit einem sorgenvollen Stirnrunzeln.
»Und weil er dir vorgeworfen hat, dass du ihn hintergehst – was du genau genommen ja auch tust –, bist du dir jetzt nicht mehr so sicher, ob du ihn noch genauso liebst wie zuvor«, schlussfolgerte er.
»Nein, das stimmt nicht! Ich hintergehe Christopher nicht, ichliebe ihn! – Und nur deshalb gehe ich zu Sanctifer, ohne dass Christopher etwas davon weiß«, setzte ich nach, um sämtliche Zweifel an mir und meinen Gefühlen für Christopher zu ersticken.
Aron warf mir einen argwöhnischen Blick zu. Nicht, weil er mir nicht glaubte, sondern weil ihm die Verbissenheit nicht gefiel, mit der ich meine Liebe zu Christopher verteidigte.
Trotz – oder vielleicht gerade wegen – meines neuerwachten Eifers brachte Aron mir in den nächsten Tagen nichts Neues bei. Abgesehen von ein paar Lerneinheiten für mein mündliches Abi, ließ er mich nur um den See laufen, ein wenig mit Ekin kämpfen und bis Sonnenuntergang in Verknotungshaltung meditieren, damit ich lernte, mich zu konzentrieren und meinen Körper zu kontrollieren. Die beiden Stunden, bevor er mich zu Bett schickte, gab er mir frei. Zu Christopher ins Internat ließ Aron mich allerdings nicht. Sämtliche Überredungsversuche scheiterten. Hätte er mir nicht das Wächterband abgenommen, wäre ich heimlich hinübergeschlichen. Dass mich der offene Streit mit Christopher innerlich auffraß, ich unter chronischer Müdigkeit litt, weil ich ständig an Christopher dachte und deshalb nicht schlafen konnte, und meine Augen jeden Morgen rötlich schimmerten, schien Aron nicht zu bemerken.
Um mich abzulenken, traf ich mich mit Paul. Er half mir, neue Freundschaften zu schließen und meine alten zu reaktivieren. Vor allem um Susan bemühte ich mich. Sie kam mir entgegen. Auch sie wollte, dass wir uns wieder versöhnten. Als sie erfuhr, dass ich Aron darum gebeten hatte, sie mit zum Abiball zu nehmen, fiel sie mir völlig überwältigt um den Hals – wenigstens ein Problem, das der Vergangenheit angehörte.
Zwei Tage bevor ich zu meiner mündlichen Prüfung aufs Internat wechseln sollte, brachte mich Aron anstatt auf den Burghügel wieder hinunter ins Verlies. Bewaffnet mit ein paar Kerzen schob er mich durch den schmalen Flur. Im Gegensatz zu dem altenBaumkreis besaß es sowohl ein Schloss als auch mehrere Schutzeinrichtungen, um einen Racheengel an der Flucht zu hindern.
Das flackernde Licht warf ein verzerrtes Bild unserer Schatten auf die rauen Steinwände des fensterlosen Kerkers. Meine Unsicherheit überzog mich wie ein kalter Mantel. Aber vielleicht war es ja auch die Unmenschlichkeit, die dieser Raum beherbergt hatte, die mich zum Zittern brachte.
»Wir üben heute hier, weil das der einzige Ort im Schloss ist …«
»Wo du einen Schattenengel unter Kontrolle halten kannst«, fiel ich Aron nervös ins Wort.
»Und der sich ebenso abschirmen lässt wie der Kreis der Linden. In spätestens zwei Minuten würde Christopher hier auftauchen, wenn er mitbekäme, was ich … was du hier lernen sollst.«
»Und … und das wäre?« Das ungute Gefühl, dass es etwas mit meinem Schatten zu tun hatte, schnürte mir die Kehle zu.
Anstatt zu antworten, bat Aron mich, auf der Matratze Platz zu nehmen, und begann, die Schutzwälle zu aktivieren, die kein Schattenengel durchbrechen konnte. Mit einem versiegelte er
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