Fluch der Engel: Roman (German Edition)
heraufzubeschwören?«
Aron blieb stehen und sah mich mitleidsvoll an. Ich schaute beiseite. Mitleid vertrug sich nicht besonders gut mit Angst – es stärkte sie. Aron seufzte und fuhr fort.
»Wir glauben, dass ein Racheengel seine Aufgabe umso besser erfüllen kann, je öfter er seine Schattengestalt angenommen hat. Auch deshalb ist es Teil der Ausbildung, einen Racheengel in seine dämonische Seite zu zwingen – zumindest wurde das bislang so gehandhabt.« – Nur bei mir nicht. »Und sobald wir Zugang zu eurer Seele haben, lernen wir, euren Schatten zu beherrschen. Unkontrollierbare Monster können wir uns nicht leisten.«
»Also wird Sanctifer …«
Aron schnitt mir das Wort ab. »Es benötigt Erfahrung, einen Schattenengel zu bezwingen.«
»Die Sanctifer besitzt.«
»Ja, aber solange er keinen Zugang zu dir findet, nützt ihm das wenig.«
»Was bisher nur Christopher …«
Aron verhinderte, dass ich weiterbohrte. Eine grausame Vorahnung beschlich mich, als ich die Eisenschellen entdeckte, die er aus seiner Hosentasche zog. Obwohl Aron mir vor ein paar Minuten noch versichert hatte, wie froh er war, mir nicht meinen Schatten aufgezwungen zu haben, schien er genau das jetzt vorzuhaben.
»Du verdammter Heuchler!« Blind vor Angst schlug ich um mich und versuchte, Arons Klammergriff zu entkommen. Erst als das kalte Metall meine Handgelenke fixierte, gab ich auf – gegen stählerne Fesseln war ich machtlos.
Aron umfasste mein Gesicht und zwang mich, ihm in die Augen zu schauen. »Bevor ich dir das Geheimnis verraten kann, will ich sicher sein, dass du weißt, wie du reagieren musst, wenn Sanctifer dir weh tut.« Entschlossenheit spiegelte sich in Arons Zügen wider, die mich schaudern ließ.
»Versuche, dich mir zu widersetzen, ohne Zuflucht in deinem Schatten zu finden«, befahl er mir, als leuchtende Himmelslichter in der Dunkelheit erschienen. Flüsternd formierten sie sich zu einem hauchdünnen Gespinst: wunderschön und doch so heimtückisch. Sanft wie Seide hüllte es mich ein und vermittelte trügerischeSicherheit; sammelte sich an meinen Schultern, dort, wo sich die Energie meiner Flügel konzentrierte – und schlug erbarmungslos zu. Brennende Spuren fraßen sich rasend schnell durch meine Haut. Ich spürte, wie mir das Bewusstsein entglitt. Noch bevor mein Schatten sich überhaupt regen konnte, würde der Schmerz verschwunden und ich ohnmächtig sein.
Doch Aron gönnte mir nicht, Erlösung in einer Ohnmacht zu finden. In seiner Hand erschien ein kleines, von einem silbernen Netz umsponnenes Fläschchen. Mit einem leisen Plopp entkorkte er es und ließ mich den flüchtigen Duft von kandierten Cashewnüssen auf Panna cotta einatmen.
Der Schmerz explodierte. Tränen schossen mir in die Augen. Mein Körper krümmte sich vor Qual. Ich schrie. Hass breitete sich aus. Die roten Schleier erschienen, und ich hatte nur noch einen Wunsch: Aron sterben zu sehen.
Ein flammendes Etwas ergoss sich in meine Kehle. Ich versuchte, die Flüssigkeit auszuwürgen, doch Aron ließ es nicht zu. Mit stählernem Griff presste er meine Lippen zusammen.
»Vertraue mir«, flüsterte er heiser. »Auch wenn du mich am liebsten tot sehen würdest. Ich weiß, was ich tue.«
»Ich auch«, gurgelte ich und grub meine Zähne in seine Hand, bis sie auf Widerstand stießen.
Er fluchte vor Schmerz, doch seine Finger gaben keinen Millimeter nach. Erst als die eisige Starre in meinem Magen sich in wohlige Wärme verwandelte – deren beruhigende Wirkung ich eigentlich gar nicht wahrhaben wollte –, gab er mich frei.
»Jetzt weißt du, wie es sich anfühlen wird, wenn Sanctifer dich quält. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.« Arons Stimme klang noch immer belegt.
»Darauf kannst du lange warten!«, knurrte ich. Mein Schatten, den ich trotz der Tortur unter Kontrolle halten konnte, bäumte sich auf.
»Lynn, das war die einzige Möglichkeit, dir zu zeigen, was es heißt, gefoltert zu werden, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen.Du musst wissen, wie du zu reagieren hast, wenn du Sanctifer täuschen willst.« Sorge lag in Arons Stimme – und unsägliche Reue.
Mein Widerstand knickte ein. Mich zu foltern hatte ihn ebenso sehr mitgenommen wie mich. Meine Tränen standen kurz vor dem Durchbruch. Doch ich wollte sie Aron nicht zeigen, nicht, nachdem ich die Aufgabe erfüllt und seiner Folter standgehalten hatte. Heulen wollte ich lieber allein.
Aron spürte mein Bedürfnis nach Einsamkeit. Er befreite mich von den Fesseln,
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