Fluch der Engel: Roman (German Edition)
begann Raffael, als ich zu Ende gelesen hatte. »Ich soll dir ausrichten, dass Sanctifer außerordentlich betrübt ist, dich erst später als geplant in seinem Heim begrüßen zu können. Um dich für deine Geduld zu entschädigen, möchte er dir einen unvergesslichen Empfang bereiten. Deshalb soll ich dich nach deiner Lieblingsfarbe fragen.«
»Rosa«, antwortete ich spontan, weil diese Farbe mich an Hannah und ihr in Barbie-Rosa eingerichtetes Zimmer erinnerte. Mich bei Sanctifer wohl zu fühlen, war das Letzte, was ich wollte. »Und richte ihm aus, dass ich es kaum erwarten kann, ihm gegenüberzutreten …«
»Ein Empfang«, unterbrach Aron. »Welche Ehre für einen Racheengel.«
Bevor ich meine Drohung doch noch mit dem Zusatz Um das Dämonische deines Herrn und Meisters zu enttarnen vollenden konnte, schnappte Aron sich Raffael und komplimentierte ihn zur Tür hinaus.
»Lynn!« Aron hatte seine Tadelstimme aufgesetzt als er zurückkam. »Denk nach, bevor du einem Boten der Dogin eine Drohung mit auf den Weg gibst. Beim nächsten Mal werde ich vielleicht nicht in deiner Nähe sein.«
Ich kehrte Aron den Rücken zu, damit er nicht sah, wie verloren ich mich fühlte, schob den weißen Vorhang beiseite und starrte zum Fenster hinaus. Die tiefblaue, von der Sonne beschienene Lagune gaukelte eine trügerische Friedlichkeit vor, die es für mich nicht mehr gab.
»Ein Jahr, danach bleibt euch die Ewigkeit«, tröstete mich Aron. Ihm etwas vorzumachen war schwer.
»Und wenn …«
»Es wird kein wenn geben«, fiel er mir ins Wort.
»Aber wenn ich zum Monster werde? Was, wenn Sanctifer mich …«
Erneut ließ Aron mich nicht ausreden. Mit finsterer Miene zerrte er mich in das für mein Training eingerichtete Zimmer. Hanteln samt Bank, ein Laufband, ein Rudergerät und diverse Kraftmaschinen belebten den ansonsten kargen, mit Parkett ausgelegten Sportraum. Selbst einen Boxsack gab es, damit ich mich austoben konnte.
Aron ließ mich vor einem der raumhohen Fenster auf einer Yogamatte Platz nehmen. Er selbst setzte sich mir gegenüber.
»Der Rat hat dich als Zeugin berufen, nicht als Angeklagte. Beantworte nur die Fragen, die dir gestellt werden – und das am besten so einfach wie möglich. Stelle keine Vermutungen auf oder irgendwelche Behauptungen – geschweige denn Drohungen. Halte dich an das, was in der Oper passiert ist. Wenn du dir unsicher bist, stell dich blöd oder lüge. Aber das Wichtigste: Du wusstest, dass Christopher dich im Ballett erwartet hat, aber nicht, dass ich ihm eine Falle gestellt habe. Hast du das verstanden?«
»Ja«, sagte ich und nickte. »Und wenn der Rat mich zwingt …«
»Zeugen werden bei Gericht nicht manipuliert – Racheengel schon gar nicht!« Aron packte meine Hände und zwang mich, ihn anzusehen. »Lynn, dass du mich in der Oper nicht in Stücke gerissen hast, zeigt mir, dass ich mich nicht in dir getäuscht habe. Sanctifer wird es niemals gelingen, dich in deinen Schatten zu zwingen.«
»Ach nein? Das glaubst du ja wohl selbst nicht!«, antwortete ich zynisch. Aron hatte mich auf mein Jahr bei Sanctifer vorbereitet. Bei Bewusstsein zu bleiben, während er mir meine Grenzen aufzeigte, war mir allerdings nicht gelungen. Warum das wichtig war, hatte Aron mir zwar nicht erklärt, aber dass es etwas mit meinem Schatten zu tun hatte, lag auf der Hand.
»Doch, genau das tue ich«, antwortete Aron. »Aber falls Sanctifer jemals erfahren sollte, was ich dir beibringe, wird er sich Christopher holen. Also spiel deine Rolle perfekt, wenn du bei ihm bist!«
Arons Blick wurde eindringlich. Ohne Vorwarnung legte sich sein Zwangskorsett um meinen Körper. Erschrocken schnappte ich nach Luft, nur um festzustellen, dass ich nicht mal mehr meinen Brustkorb ausdehnen konnte – wimmern vor Schmerz ging noch.
»Wehr dich!«, forderte er mich auf. »Der Mantel besteht aus Engelsmagie.«
Arons Zusatz erleichterte es mir, eine Entscheidung zu treffen: Meine Engelskräfte gegen seine – er gewann schneller, als ich mir das vorgestellt hatte.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Aron, während ich Halt an seinen Schultern suchte, um nicht umzukippen.
»Ähnlich schlapp, wie wenn Christopher mich küsst.«
»Das dachte ich mir.« Aron grinste. »Was hast du gemacht?«
»Meine … na ja, irgendwie versucht, deine Zwangsjacke loszuwerden.«
»Indem du mit deinen Engelskräften all die Stellen bekämpft hast, an denen du den Mantel spüren konntest«, half Aron mir zu erklären, wie ich
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