Fluch der Engel: Roman (German Edition)
konzentrieren und sie nicht in einem Gegenangriff vergeuden. Denn solange deine Seele geschützt ist, kann dich höchstens ein Racheengel besiegen und in deinen Schatten zwingen. Ein normaler Engel wäre niemals stark genug.«
Aron forcierte die Intensität der Energie, bevor er sie über meine Arme hinausschickte. Ich schrie vor Schmerz, kämpfte, um seinem Griff zu entkommen. Doch anstatt mich freizugeben, drückte er mich tiefer in den Sessel. Die Ohnmacht, in die ich mich flüchten wollte, vertrieb er mit dem Duft von Zuckernüssen auf Panna cotta.
»Konzentriere deine Energie«, wiederholte er, als mein Dämonenerbe erwachte.
»Wo?«, flüsterte ich, unfähig, meine Stimme zu erheben.
»An der Stelle, die ein Racheengel normalerweise nicht mehr spüren kann: dort, wo es weh tut, wenn du an Christopher denkst.«
Es war einfach, diesen Punkt zu finden. Augenblicklich verschwand Arons eisiges Himmelsfeuer. Meine Tränen blieben. Ich ließ es zu, dass Aron mich in die Arme nahm. Wer sonst, außer einem guten Freund, konnte ein gebrochenes Engelsherz trösten?
Kapitel 16
Justitia
M ein Puls raste, als ich, begleitet von vier hünenhaften Engeln, den großen Versammlungsraum des Dogenpalastes betrat. Alle Augen waren auf mich gerichtet, während meine Beine drohten, unter mir wegzuknicken.
Wie bei der Auswahl zu den Prüfungen saßen über hundert Engel auf dem geschnitzten Holzgestühl – wie immer maskiert. Doch heute bevölkerten weit mehr Zuschauer den mit Malereien, weißem Stuck und Gold verzierten Saal. Gefüllt bis auf den letzten Platz drängten sie sich ebenso dicht wie die Engel auf den Gemälden der gigantischen Reliefdecke über ihnen. Dem Prozess eines Racheengels beizuwohnen, erfüllte sie mit gespannter Neugierde. Aber auch Furcht, Schadenfreude und Hass konnte ich wahrnehmen. Christopher hatte die Engel ein weiteres Mal in Angst und Schrecken versetzt. Die Erinnerung an unseren Tandemflug beim Lichtmeerfest war ihnen ebenso im Gedächtnis geblieben wie die anschließende Auseinandersetzung zwischen Christopher und Nagual. Dass Christopher schon wieder einen Kampf in seiner Engelsgestalt bestritten hatte, und das auch noch während einer Opernaufführung und gegen einen harmlosen Seelenengel, nahmen sie ihm offenbar richtig übel.
Ich fasste all meinen Mut zusammen, um es durch die schmale Gasse an den Engeln vorbei zu dem erhöht gelegenen Podest zu schaffen, wo mich die Dogin mit ihrem zehnköpfigen Rat erwartete. Kurz vor dem Ziel strauchelte ich erneut. Gekettet in Eisen stand Christopher, bewacht von einer Schar Engel, in einem eisernen Käfig und beobachtete jeden einzelnen meiner Schritte.
Ich biss die Zähne zusammen. Wenn ich ihm beweisen wollte,dass ich Aron und nicht ihn liebte, musste ich meine Rolle mehr als perfekt spielen und diesem durchdringenden Blick standhalten. Doch die Kälte in Christophers Augen schnürte mir schon jetzt die Kehle zusammen.
Präpariert mit Arons Mahnungen, keine Gefühle zu zeigen, und den vier drängenden Engeln in meinem Nacken, zwang ich mich, an Christopher vorbeizugehen. Dem Prickeln in meinem Kopf, das mich erreichte, noch bevor ich meinen Platz am Fuß des Podestes einnehmen konnte, entkam ich allerdings nicht. Gut, dass ich wusste, wie ich mich dagegen zur Wehr setzen musste. Wer auch immer versuchte, mich in einen Sekundenschlaf zu versetzen, um mich auszuspionieren, hatte sich das falsche Opfer ausgesucht.
Mein Blick wanderte zu den Reihen des Rats. Alle, bis auf die Dogin, trugen einen schwarzen Mantel. Sie demonstrierte ihre Macht lieber in Rot. Selbst ihre Maske leuchtete in der Farbe von frischem Blut, während die Ratsmitglieder ihre Gesichter unter schwarzen Masken verbargen.
Königsblaue Augen fixierten mich: Sanctifer. Vermutlich war er es, der wissen wollte, was ich wirklich für Christopher empfand. Ich hielt seinem Blick stand. Lieber seinem als Christophers.
Schließlich befahl mir der Engel mit den dunklen Augen, der neben der Dogin saß, auf dem Zeugenstuhl Platz zu nehmen.
»Linde Beerwang, Debütantin im Zirkel der Racheengel, du wurdest einberufen, um Zeugnis abzulegen. Doch bevor du unsere Fragen beantwortest, solltest du die wichtigste Regel kennen: Meineid wird mit höchster Strenge bestraft – gegebenenfalls auch mit dem Tode. Also halte dich an die Wahrheit! Lügner leben nicht lange.«
Ich nickte selbstbewusst – und wäre am liebsten mit dem hölzernen Zeugenstuhl verschmolzen. Umringt von skandallustigen
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