Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Gaffern und vier eigenen Wächtern fühlte ich mich dem Rat und seiner Dogin ausgeliefert wie ein Lamm auf der Schlachtbank – was ich ohne Christopher vielleicht noch ertragen hätte. Doch der Zorn, der sich in seinen Augen widerspiegelte, galt eindeutig mir.
Obwohl ich mich bemühte, den Sprecher des Rats zu fixieren, während ich seine nicht enden wollenden Fragen zu Ort, Zeitpunkt und dem Verlauf der Auseinandersetzung beantwortete, wanderte meine Aufmerksamkeit viel zu oft zu Christopher. Er selbst ließ mich nicht eine Sekunde aus den Augen. Jedes Mal wenn er mich erwischte, wie ich ihm einen Seitenblick zuwarf, verdüsterte sich seine Miene noch ein wenig mehr. Dennoch die Kaltschnäuzige zu spielen fiel mir unendlich schwer. Mein Herz gehörte dem Engel in dem eisernen Käfig, auch wenn ich das nicht zeigen durfte.
»Wusstest du, dass Christopher dich im Menschenvenedig erwartet hat?« Ein eisiges Prickeln begleitete die Frage.
»Ja, das wusste ich«, antwortete ich wahrheitsgetreu.
»Aber du bist nicht hingegangen«, bohrte der Ratssprecher weiter.
»Nein, schließlich war ich mit Aron verabredet und nicht mit ihm.« Wie Aron mir eingetrichtert hatte, vermied ich es, Christopher bei seinem Namen zu nennen. Ihm zu sagen, ohne dass meine Stimme schwankte, war einfacher.
»Und du hast deinem Freund nicht abgesagt?«
»Nein.« Die Augen des Fragestellers leuchteten siegesgewiss, doch mir war klar, worauf er hinauswollte. »Zum einen hatte ich nicht zugesagt, und zum anderen ist er nicht mein Freund.« Ich spie das Er aus wie ein faules Stück Apfel. Christopher zuckte zusammen – ich drückte meinen Rücken durch und setzte die distanzierte Miene auf, die Aron mich vor dem Spiegel gefühlte tausend Mal hatte einüben lassen. Dass mein Herz dabei in ebenso viele Bruchstücke zersplitterte, ging niemanden etwas an. Am allerwenigsten Christopher.
Das Raunen, das durch die Menge lief, weil ich behauptete, Christopher wäre nicht mein Freund, konnte ich jedoch nicht ausblenden. Unser Tandemflug beim Lichtmeerfest und mein Dazwischengehen beim Kampf gegen Nagual auf dem Dach der Basilika hatten etwas anderes bewiesen.
Die Dogin hob die Hand und brachte die Zuschauer augenblicklich zum Schweigen. Ob per Handzeichen oder mit Hilfe eines in die Gedanken der Engel gerufenen Ruhe! , konnte ich nur raten, da ich auf stur gestellt hatte. Dass sie dazu in der Lage war, wusste ich aus eigener Erfahrung. Vermutlich versuchte sie gerade erneut, mich zu erreichen.
Ihre lindgrünen Augen schienen mich zu durchbohren. Ich hielt ihr stand. Alles war besser, als zu Christoper hinüberzusehen. Der kurze Blickkontakt, während ich in aller Öffentlichkeit verkündet hatte, nicht mit ihm zusammen zu sein, war unfassbar schmerzhafter gewesen. Unter Christophers Zorn hatte sich Verachtung gemischt – und Hass. Besser als Enttäuschung, redete ich mir ein, obwohl ich mir genau das Gegenteil wünschte. Ein vorwurfsvoller Blick hätte weh getan, mir aber gezeigt, dass Christopher mich noch immer liebte. Hass war viel schwerer zu ertragen. Er fühlte sich endgültig an, weil es genau das war, was Racheengel normalerweise füreinander empfanden.
»Christopher ist also nicht dein Freund?«, konkretisierte der Engel mit den dunklen Augen seine Frage.
»Nein, das ist er nicht«, antwortete ich kühl – er ist der Engel, den ich liebe, setzte ich im Stillen hinzu, um mich selbst zu beruhigen. Das eisige Prickeln auf meiner Stirn verstärkte sich im selben Maß, wie sich das Grün in den Augen der Dogin aufhellte. Ich ignorierte es und war beinahe froh, als der Fragesteller fortfuhr.
»Und warum hat er dann im Ballett auf dich gewartet?«
»Das fragen Sie ihn am besten selbst«, antwortete ich. Christophers weiß hervortretende Fingerknöchel verleiteten mich zu einem Zusatz. »Aber ich denke, sein Stolz hat ihm verboten, eine Niederlage kampflos zu akzeptieren.«
Dieses Mal erlaubte die Dogin das Raunen der Anwesenden. Ob sie ihr Entsetzen genoss oder nur nicht zu der aufgebrachten Menge durchdringen konnte, war schwer zu erkennen. Die Tatsache, dass ein Racheengel aus Eifersucht seine Beherrschung verlierenkonnte, machte ihnen Angst – wir durften Wut, aber nicht Liebe empfinden.
Erneut wanderte mein Blick zu Christopher, doch es gelang mir nicht, seine Miene zu entschlüsseln. Nur seine zu Schlitzen verengten Augen warnten mich: Er glaubte meiner Antwort nicht. Ich musste besser lügen, wenn ich auch ihn überzeugen
Weitere Kostenlose Bücher