Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Doch ich konnte nicht anders. Meine Furcht vor dem, was vor mir lag, war riesig.
»Immerhin hat der Zauber seine Aufgabe erfüllt – im Gegensatz zu dir. Wenn du Sanctifer hintergehen willst, musst du ihn davon überzeugen, dass du zwar stark genug bist, um seinem Angriff eine Zeitlang zu widerstehen, ihm aber die Hoffnung lassen, dass er dich irgendwann doch noch bezwingen wird – was dir nur dann gelingt, wenn du glaubhaft rüberkommst. Vielleicht hilft es dir, deine Rolle besser zu spielen, wenn du dir bewusst machst, weshalb du bei Sanctifer bist.«
Die Erinnerung an Christopher und die Versammlung reichte, um eine viel größere Angst in mir heraufzubeschwören.
»Sie werden ihm nichts tun«, beteuerte Aron, als er meine Verzweiflung spürte. »Ich werde die Schuld für den Streit auf mich nehmen.« Welche Konsequenzen das für ihn nach sich ziehen würde, verriet Aron nicht.
Als Raffael am nächsten Tag über die Türschwelle trat, weigerte sich alles in mir, ihm zu folgen. Zum Glück schien Aron derselben Meinung zu sein. Er besah sich das Pergament und legte Widerspruch ein.
»Es scheint echt zu sein, allerdings möchte ich sichergehen. Ichwerde sie persönlich zu ihm bringen, nachdem ich das Siegel geprüft habe.«
»Der Befehl ist eindeutig«, widersprach Raffael.
»Meiner auch.« Drohend baute sich Aron in seiner Engelsgestalt vor dem Flüsterer auf und drängte ihn zur Tür hinaus. Schließlich drehte er sich zu mir um und stellte mir die absurdeste Frage überhaupt:
»Liebst du mich?«
»Nein«, fauchte ich. Was auch immer Aron plante, darauf konnte er vergeblich hoffen.
»Erinnere dich an die Antwort, falls Christopher dir dieselbe Frage stellt.«
Christopher? Mein Herz wurde schwer.
»Das … das kann ich …«
Aron legte mir einen Finger auf den Mund, um mich am Weiterreden zu hindern. »Denk nach, bevor du das Falsche sagst. Es könnte ein Todesurteil sein. Wenn der Rat herausfindet, dass du gelogen hast und ihn noch immer liebst, wird er weder mit dir noch mit Christopher besonders zimperlich umgehen. Meineid wird strengstens geahndet.« Bei Racheengeln, ergänzte ich in Gedanken. Nur wir konnten lügen.
Aron begleitete mich zur Markusbasilika. Dort übergab er mich an Nagual, den Racheengel mit den goldenen Bernsteinaugen. Seine Missbilligung stand ihm ins Gesicht geschrieben – ich hatte nichts anderes erwartet und war vorbereitet.
»Sieh an, du kommst in Begleitung deines Galans. Traust du mir etwa nicht, kleiner Engel ?«
»Weder dir noch einem Mitglied des Rats«, erwiderte ich trocken und bemühte mich, Naguals aztekische Gesichtszüge nicht noch länger zu studieren.
Die Geheimnisse der Basilika reichten weiter, als für den bloßen Betrachter sichtbar war. Dass unter dem schwarzen Altar eine Treppe in die Tiefe führte, blieb mir verborgen, bis Nagual den tonnenschweren Stein beiseiteschob.
Zögernd folgte ich ihm. Mein Misstrauen war gerechtfertigt. Auch wenn sich mir Naguals dunkle Seite im Moment nicht aufdrängte, wusste ich doch, dass er eine besaß. Er war der älteste Racheengel des Zirkels und würde sich mit Sicherheit nicht zurückhalten, wenn es darum ging, einen Frischling wie mich einzuschüchtern.
Schon im nachfolgenden Raum hielt Nagual an.
»Bevor ich dich dem Rat zum Fraß vorwerfe, möchte ich aus deinem Mund hören, ob es wahr ist, was Christopher vorgeworfen wird.«
»Und das wäre?« Demonstrativ verschränkte ich meine Arme vor der Brust.
»Du legst es auf eine Auseinandersetzung an? Ein andermal gerne.« Um seine Drohung zu unterstreichen, nahm Nagual seine Racheengelgestalt an.
Erschrocken wich ich vor dem Riesen mit den goldfarbenen Schwingen zurück. Wenigstens hielt er kein Schwert in der Hand – was sich jedoch schnell ändern konnte.
»Hast du Angst, kleiner Engel ? Vor deinesgleichen? Dabei hast du dich so mutig zwischen Christopher und mich gestellt. Würdest du das auch bei Aron tun?«
Ich schluckte. Das also wollte er von mir wissen: ob ich Aron oder Christopher geschützt hatte.
»Natürlich«, entgegnete ich trocken. »Arons Liebe ist echt.«
»Und deine zu ihm?«
Ich grinste – innerlich. Nagual war auf meine Provokation hereingefallen. »Hast du jemals einen Racheengel gesehen, der seinesgleichen liebt? Du lagst mit deiner Vermutung richtig. Und auch mir ist inzwischen klargeworden, warum Christopher versucht hat, mich für sich zu gewinnen. Er wollte meine Engelskräfte. Doch ich lasse mich nicht manipulieren. Von
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