Fluch der Engel: Roman (German Edition)
mich weiter fest. Erst als er sicher war, dass ich wieder wusste, wo sich Christopher befand, gab er mich frei. Ich hatte tatsächlich nur geträumt. Christopher konnte gar nicht bei Sanctifer sein. Er saß in der Krypta der Engelsbasilika und wartete auf sein Urteil.
Aron ging auf Abstand, zog einen der rotgepolsterten Sessel neben mein Bett und setzte sich. Er spürte, wie wenig ich für tröstende Worte empfänglich war. Doch er wollte sicherstellen, dass ich nicht zur Tür hinausrannte und eine Dummheit beging: wie in die Basilika zu stürmen oder in Christophers Verhandlung, um ihm meine Liebe zu gestehen. Statt auf Trost setzte er auf Ablenkung.
»Erzähl mir von deinem Traum«, forderte er mich auf.
»Es … Er war nicht anders, als die Träume davor«, bremste ich seine Neugier.
»Nein?« Aron schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme. Er sah müde aus. Vermutlich hatte er es satt, sich mit mir herumzuquälen. Aber das musste er ja auch nicht mehr lange. Bald würde Sanctifer seinen Platz einnehmen.
Ich entzog mich seiner Musterung und starrte auf die Lagune. Die Sonne tauchte gerade am Horizont auf. Wenn sie ihn erneut berührte, stand Christophers Schicksal fest.
»Was genau konntest du spüren?« Aron war nicht bereit, mich aufzugeben. Er sah besorgt aus, obwohl er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. Doch normalerweise bildeten sich auf seiner Stirn keine Falten, wenn er sein gutmütiges Lächeln aufsetzte.
»Ich … konnte Christophers Wut fühlen – und sein Verlangen, ein Schattenengel zu werden, als Sanctifer ihn in seinem Refugium gefoltert hat«, gab ich zu.
»Hat jemand versucht, deinen Traum zu beeinflussen?«
»Nein.« Da war ich mir sicher.
Ein verzweifelter Ausdruck huschte über Arons Gesicht, der mich ziemlich verunsicherte. »Dann haben sich vermutlich Christophers Gefühle in deinen Traum eingeschlichen.«
»Aber … Aber dann wäre dein ganzer Plan ja umsonst!«
»Nicht unbedingt«, erklärte Aron ein wenig zu ruhig. »Christopher ist an dich gebunden, was bedeutet, dass er dich nur erreichen kann, wenn du es zulässt.«
»Und du glaubst …« Ich brach ab. In meine Träume hatte ich Christopher nicht gelassen, ich hatte mir nur erlaubt, seinen Gefühlen nachzuspüren.
Lange hatte ich wach gelegen und an ihn gedacht. Hatte mir ausgemalt, wie es ihm ging, mich gefragt, wie sehr er mich hasste und ob er mir jemals verzeihen würde. Dass ich in meinem Traum spüren konnte, wie kurz er davorstand, in seinen Schatten zu flüchten, hatte mich in Panik versetzt. Doch noch viel beunruhigender war Arons Vermutung, dass ich das vielleicht nicht bloß geträumt hatte.
Wollte Christopher mich spüren lassen, wie wütend er auf mich war? Mir zeigen, was ich ihm angetan hatte? Um sich zu rächen?
Eiserne Bänder legten sich um mein Herz und zogen sich zusammen. Ich würde Christopher verlieren – wenn ich das nicht schon längst hatte.
»Jeder Gedanke an Christopher ist einer zu viel«, holte Aron mich zurück. »Weil dann die Gefahr besteht, dass du dich ihm unbewusst öffnest und er mehr von dir wahrnimmt, als dir lieb sein sollte. Auch wenn du inzwischen weißt, wie du Schmerzen vor ihm verbergen kannst, schließt das deine Gefühle für ihn nicht mit ein.«
»Du verlangst, dass ich Christopher aus meinem Herzen streiche?!«
»Nein. Dort musst du ihn bewahren, um deinem Schatten zu widerstehen. Du musst ihn nur aus deinen Gedanken verbannen«, verlangte Aron das Unmögliche.
Ein paar Stunden später verließ Aron das Apartment. Obwohl er mir nicht verraten hatte, wo er den Nachmittag verbringen wollte, wusste ich dennoch, wo er war: im Dogenpalast, bei Christophers Verhandlung.
Unruhig tigerte ich in der Wohnung auf und ab. Hatten sie Christopher wieder in den Käfig gekettet? Oder hatten sie das nur getan, weil ihnen zwei Racheengel zusammen in einem Raum als zu gefährlich erschienen? Hatten sie ihn dennoch in Ketten gelegt? War das Urteil schon gesprochen?
Hasste Christopher mich?
Meine Gedanken wanderten in den Versammlungssaal im Dogenpalast. Als wäre ich ein Zuschauer in der vordersten Reihe, sah ich Christopher – und seine Wut. Bevor ich sie spüren konnte, rannte ich in den Trainingsraum und malträtierte den Boxsack.
Dunkle Schatten zeichneten Arons Gesicht, als er zurückkehrte. Obwohl ich mich den ganzen Tag über ausgepowert hatte, schnellte mein Adrenalinpegel in unerreichte Höhen.
»Was haben sie mit ihm gemacht?«, blaffte ich Aron
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