Fluch der Engel: Roman (German Edition)
an.
»Nichts, Lynn, beruhig dich!«, antwortete er und befreite sich von meinen Händen, mit denen ich ihn gegen die Eingangstür presste. »Er darf Venedig bis auf Weiteres nicht mehr betreten.«
»Und … und sonst noch etwas?« Aron wirkte viel zu abgekämpft, als dass ich ihm das abkaufte.
»Er wurde ein weiteres Mal verwarnt. Allerdings wird er bei einem nächsten Übergriff nicht mehr so glimpflich davonkommen«, gab er zu.
»Dann werden sie ihn töten.«
»Nein, wir töten nicht grundlos.«
»Aber wir!«, schnaubte ich.
»Lynn, die Todesstrafe wird nur verhängt, wenn ein Engel große Schuld auf sich lädt – egal, welche Art von Engel er ist.« Aron wischte sich über seine müden Augen. »Lass uns in den Trainingsraum gehen. Uns bleibt vermutlich nicht mehr viel Zeit, bis Sanctifer seinen Lakaien schickt.«
Schweigend folgte ich Aron. Er würde mich nicht belügen. Auch nicht, um mich zu schützen. Oder doch? An der Türschwelle blieb ich stehen.
»Aron, bitte sag mir als Engel, dass Christopher nur dazu verurteilt wurde, Venedig zu meiden – und … und dass es ihm gutgeht«, ergänzte ich, bevor meine Stimme versagte.
Keinen Wimpernschlag später stand Aron mit seinen weiß schimmernden Flügeln vor mir und beteuerte, dass Christopher in Begleitung von Coelestin Venedig unversehrt verlassen hatte.
Ich atmete ein wenig auf. Christophers Gefühle hatte Aron ausgespart.
Immerhin war er nicht allein unterwegs. Coelestin besaß großen Einfluss auf ihn. Schon in der Vergangenheit hatte er Christopher vor anderen, aber vor allem vor sich selbst beschützt.
Aron und seine noch immer sorgenvolle Miene erinnerte mich daran, dass ich erst am Anfang meiner Probleme stand.
»Setz dich«, bat er mich, auf der Yogamatte Platz zu nehmen. »Hast du darüber nachgedacht, ob du den Bann auf dich nehmen möchtest?«
»Ja, das will ich.« Was gab es da schon zu überlegen? Entweder ich akzeptierte ihn und hielt seinen Nebenwirkungen stand oder das ganze Täuschungsmanöver wäre umsonst gewesen.
»Denk daran, dass du keine Chance mehr hast, dich in eine Ohnmachtzu flüchten. Egal, was passiert, du wirst immer bei klarem Verstand bleiben.«
»Besser als im Delirium«, antwortete ich zynisch. »Solange ich den Schmerz ausschalten kann, brauche ich das ja auch nicht.«
»Es gibt verschiedene Arten von Schmerz«, schränkte Aron ein. Seine Antwort beschwor ein ungutes Gefühl in mir herauf.
»Was genau meinst du damit?«
»Dass du ein Engel bleiben musst, auch wenn Sanctifer nicht nur dir, sondern jemand anderem Schmerzen zufügt.«
Jemand anderem? Meine Übelkeit verstärkte sich. Vor meinen Augen erschien Philippe. Ich hatte schon einmal gesehen, wie er gefoltert wurde. Damals war es nur eine Illusion der Totenwächterin gewesen. Doch was, wenn nicht nur sein Trugbild gequält wurde? Wenn Philippe herhalten musste, um mich zu zwingen, ein Monster zu werden?
»Das … das werde ich niemals schaffen«, flüsterte ich, während ich gegen die grausame Erinnerung ankämpfte.
»Dann war deine ganze Ausbildung umsonst.« Aron packte meine Schultern, um mich festzuhalten – um mir das Ausmaß meines Versagens vor Augen zu führen.
»Sanctifer ist gerissen. Vermutlich wird er dich umgarnen und versuchen, dein Vertrauen zu gewinnen. Gehe darauf ein, täusche ihn. Egal, wie schwer dir das fällt. Je länger du ihn hinhalten kannst, umso besser. Sollte es Sanctifer jemals gelingen, dich zu manipulieren und in deinen Schatten zu zwingen, wird nicht nur ein Einzelner leiden. Denn dann wirst du dich seinen Wünschen nicht länger widersetzen können – selbst Christopher konnte das nicht.«
Mein Magen rotierte. Bittere Galle kroch meine Kehle hinauf. Grausame Bilder von gequälten Kreaturen erschienen.
»Was hat Sanctifer Christopher befohlen?«
»Nicht Christopher. Seinem Schatten«, korrigierte Aron. Er ließ mich los und sank im Schneidersitz neben mir auf die Matte. So kraftlos hatte ich ihn noch nie erlebt. Als hätte er bei seiner Warnung,was passieren würde, falls ich versagte, seine ganze Engelsmagie verbraucht.
»Schattenwesen können sich dem Einfluss ihres Lehrmeisters nicht entziehen, sobald er den Zugang zu ihrem dämonischen Teil gefunden hat«, erklärte er matt.
»Christopher war Sanctifer willenlos ausgeliefert?«
»Wenn du es so nennen möchtest, ja«, bestätigte Aron. »Allerdings müssen alle Tutoren, die einen Schatten ausbilden, ein Gelöbnis ablegen, ihre Macht niemals zu
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