Fluch der Engel: Roman (German Edition)
ich hindurchging. Raffael fing mich auf. Hastig befreite ich mich aus seiner Umarmung und verwünschte meine Unvorsichtigkeit. Dass Sanctifer sich mit Engelsmagie schützte, war abzusehen.
Als ich aufsah, wurde mir erneut schwummrig. Hinter der verfallenen Fassade verbarg sich inmitten einer Gartenoase ein Traum aus Tausendundeiner Nacht. Eine Mischung aus venezianischem und arabischem Palast, verziert mit Gold- und Silberornamenten mit bunten Edelsteinen als krönender Zugabe.
»Und? Zufrieden?«, holte Raffael mich aus meiner Verzückung.
Ich nickte nur – zum Sprechen fehlte mir die Luft. Raffael lachte leise und führte mich über mosaikbesetzte Wege mit schattenspendenden Palmen, vorbei an plätschernden Brunnen, auf einen hufeisenförmigen Durchgang zu: den Haupteingang des Palastes.
»Ach übrigens, Sanctifer hat dir das mit dem Rosa genauso wenig abgenommen wie ich. Ich hoffe, dir gefällt die Alternative.«
Raffael legte mir eine Hand auf den Rücken und schob mich unter dem gigantischen Torbogen hindurch. Ich rechnete mit weiterer Engelsmagie und spannte meinen Körper an. Doch der Angriff blieb aus.
»Für einen Racheengel bist du ganz schön schreckhaft«, kommentierte Raffael.
»Was nicht heißt, dass ich harmlos bin«, knurrte ich und drückte ihm einen meiner Fingernägel zwischen die Rippen.
Raffaels ebenmäßiges Gesicht nahm für einen kurzen Augenblick die Farbe von Milch an. Sicher hatte Sanctifer ihm blutrünstige Bilder von Monstern wie mir gezeigt. Woher sollte er sonst wissen, wie gefährlich meine Klauen sein konnten?
Als ich den gigantischen Saal erblickte, der über und über mit weißen und blauen Rosen dekoriert war – selbst auf dem steinernen Ornamentboden lagen Blütenblätter verstreut –, war ich es, die erblasste. Nicht nur die Blumenpracht war einzigartig. Auch der Raum übertraf alles, was ich kannte. Abgesehen davon, dass der Saal engelsfrei war – Sanctifer besaß offenbar nicht viele Freunde –, herrschte hier nicht Prunksucht, sondern feinstes Handwerk. Die farbintensiven Fresken und Teppiche an den Wänden waren bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und wirkten ebenso edel wie die gigantische, mit wertvollen Edelsteinen verzierte Kuppel, die erhaben über dem quadratischen Raum thronte. Selbst die exquisiten Möbel, ein gelungener Stilmix vergangener Epochen, waren einzigartig: französischer Barock, arabisches Kunsthandwerk und venezianischer Brokat in perfekter Harmonie.
Das Auffälligste jedoch war die riesige Tafel. Sie stand unter der Kuppel und reichte beinahe von einer Wand zur anderen. Jeder Antiquitätenhändlerhätte sich die Finger geleckt, wenn er auch nur einen der knapp hundert Stühle zum Kauf hätte anbieten dürfen.
»Und? Gefällt’s dir?«
Ich krächzte ein »Geht so« und starrte weiter. Blöd, dass ich für Kunst so empfänglich war.
»Dann will ich dir mal deine Räume zeigen.«
Deine Räume? Nicht deine Zelle? Ich hatte mir vorgestellt, hier in einem düsteren Gefängnis vor mich hin schmachten zu müssen.
Über das duftende Blütenblättermeer führte Raffael mich zu der Säulenreihe auf der gegenüberliegenden Seite, hinter der ein Atrium verborgen lag. Auch diesen Garten zierten Mosaike, Palmen und jede Menge Wasserspiele – einige davon in Swimmingpoolgröße. Trotz Sommerwärme überlief mich ein Frösteln, als ich das geschuppte Wesen entdeckte, das sich in einem der Becken aalte. Mit meergrünen Augen strahlte es mich an, als würde es mich am liebsten auf der Stelle vernaschen.
Ich ignorierte das nixenhafte Geschöpf und verbannte andere grüne Augen, an die ich nicht denken durfte, aus meinem Gedächtnis. Zudem redete ich mir ein, dass das Ding es auf den adonishaften Raffael abgesehen hatte – schließlich besaß es weibliche Züge und Rundungen.
»Siehst du das blaue Leuchten in ihren Pupillen? Sie ist ein gezähmtes Irrlicht – und im Gegensatz zu dir harmlos, solange du ihr nicht zu nahe kommst«, revanchierte sich Raffael für meinen Kommentar beim Anblick der Ruinen.
Sein Nachsatz beruhigte mich nicht gerade. Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Im Gegensatz zu mir wirkte er locker – anscheinend fühlte er sich wohl in seinem Zuhause. Mich dagegen schauderte. Raffael war ein Mensch und doch um einiges vertrauter mit der Welt der Engel als ich. Vielleicht sollte ich ein wenig netter zu ihm sein. Schließlich war er der Einzige, von dem ich wusste, was hinter seiner falschen Fassade steckte.
Meine Räume
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