Fluch der Engel: Roman (German Edition)
mir – und nicht nur er. Mit einem anzüglichen Lächeln hielt mein Bewunderer sein Glas in die Höhe und erhob seine Stimme. Selbst Raffael, der am anderen Ende des Tisches von zwei bildschönen Engeln umgarnt wurde, schaute auf.
»Lasst uns auf unseren heutigen Ehrengast trinken, die bezaubernde Lynn – Ihr werdet eine wahre Bereicherung sein«, fügte er nur für mich hörbar hinzu.
Noch ehe ich diesem Widerling den Kinnbart stutzen konnte, mischte Sanctifer sich ein.
»Lynns vielschichtiges Wesen wird uns sicher noch eine MengeFreude bereiten«, vervollständigte er den Trinkspruch, erhob sein Weinglas und prostete mir zu.
Ich hatte meines noch nicht angerührt, was ihm sicher nicht entgangen war. Jetzt zu kneifen hätte mich vor seinen Gästen wie einen Feigling dastehen lassen und ihr Interesse sicher noch weiter geschürt. Also griff ich nach meinem Glas, setzte ein Lächeln auf und trank.
Der Wein schmeckte exquisit, nach dunklen Beeren und Schokolade. Ich leckte mir über die Lippen – und erntete ein diabolisches Grinsen. Mein Erschrecken war gespielt. Schließlich wollte ich Sanctifers Glauben, dass ich weder seinen Einschüchterungsnoch anderen Benebelungstaktiken widerstehen konnte, nicht schon am ersten Abend zerstören. Dass meine gespielte Furcht auch einigen seiner Gäste ein Lächeln ins Gesicht zauberte, war mir egal – ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.
Nach der Mahlzeit bat Sanctifer seinen Hofstaat, ihm ins Atrium zu folgen – mich holte er persönlich ab. Wie Aron es mir geraten hatte, spielte ich bei ihm weiterhin die Verunsicherte, was mir nicht besonders schwerfiel. Sanctifers Einlulltaktik behagte mir nicht. Auf einen Angriff mit Engelsmagie war ich wesentlich besser vorbereitet als auf Nettigkeiten.
Als ich den Innenhof betrat, vergaß ich beinahe, wer neben mir stand. Das Atrium hatte sich in eine märchenhafte Zauberwelt verwandelt. Ein Lichtermeer aus tausend Flämmchen erhellte die erblühte Oase unter dem nächtlichen Sternenhimmel. Doch nicht nur die berauschende Blütenfülle mit ihrem betörenden Duft benebelte meine Sinne. Wie auf einem orientalischen Märchenfest demonstrierten Gaukler, Zauberer, Feuerschlucker und Jongleure ihre Kunstfertigkeiten. Mit überbrodelnder Lebendigkeit forderten sie die Zuschauer auf, ihre Tricks zu durchschauen, zu wetten, mitzutanzen oder ihren phantasievollen Geschichten zu lauschen. Sie wirkten menschlich, doch mir wurde schnell klar, dass sie es nicht waren. Das geheimnisvolle blaue Flimmern in ihren Augen verriet sie: Es waren gezähmte Irrlichter. Und obwohl ich mich eigentlichnicht auf ihr verlockendes Spiel einlassen wollte, faszinierte mich ihr Zauber.
Sanctifer spürte meine Anspannung und gab mich frei. »Es ist dein Willkommensfest. Genieße es.«
Ich bemühte mich, nicht allzu enthusiastisch zu wirken, was mir absolut nicht gelang. Selbst ich spürte, wie meine Pupillen sich weiteten, wenn eines der Wesen in atemberaubende Höhe geschleudert wurde, und meine Wangen im Feuerschein glühten, während die Feuerschlucker einen bunten Flammenregenbogen in den Nachthimmel schickten.
Als ich am Brunnenrand eines der Wasserspiele saß, um dem Reigen der Nymphen zuzusehen, bemerkte ich, dass ich nicht nur von Mazarin und ähnlich gestrickten Engeln beobachtet wurde. Mit dem Rücken an eine der Säulen gelehnt, stand Raffael am anderen Ende des Atriums und ließ mich nicht aus den Augen. Ich setzte eine gleichgültige Miene auf und zuckte gelangweilt mit den Schultern. Dass die Irrlichter mich faszinierten, anstatt abzustoßen, ging niemanden etwas an.
Mein Plan ging nicht auf. Raffaels Miene verfinsterte sich. Als er kurz danach neben mir stand, verabschiedete ich mich mit der Ausrede, mir etwas Trockenes anziehen zu wollen, und verdrückte mich auf meine Suite. Wie Aron es vorausgesehen hatte, erwiesen sich Sanctifers Methoden, mich zu manipulieren, als äußerst subtil und schwer zu durchschauen. Beim nächsten Mal würde es keinen Raffael brauchen, damit ich rechtzeitig auf mein Zimmer verschwand.
Sanctifer erlaubte mir, mich im Hauptteil des Palastes frei zu bewegen. Verlassen durfte ich das Gebäude natürlich nicht. Doch alles war besser, als in meiner Suite darüber nachzudenken, ob Christopher wirklich so wütend war, dass sein Schatten drohte hervorzubrechen, wie ich das geträumt hatte. Wenigstens gelang es mir inzwischen, aufzuwachen, bevor der Albtraum seinen Höhepunkt erreichte und Christopher vielleicht
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