Fluch der Leidenschaft
Abfälle wurden eingesammelt und Gurte festgezogen. Beim Aufstehen fragte er beiläufig: »Wer ist dann der Vater dieses ungelegen kommenden Kindes?«
Imogen schlug den Blick nieder. »Das kann ich Euch nicht sagen«, antwortete sie völlig wahrheitsgetreu.
Mit einem Griff unter das Kinn zwang er sie, ihm in die Augen zu sehen. »Ihr seid nicht heimlich verheiratet?«
»Wenn ich einen Gemahl hätte, wäre ich dann wohl auf Eure Hilfe angewiesen, was meint Ihr?«
»Das käme auf den Gemahl an.« Er ließ sie los und ging, um das Sammeln seiner kleinen Streitmacht zu überwachen. Am liebsten hätte Imogen ihm eine tödliche Waffe in den Rücken geschleudert.
Renald de Lisle hob sie auf seine Arme.
»Sir Renald«, sagte sie ärgerlich, »auch wenn Ihr zweifellos der Meinung seid, Euer Freund besitze sämtliche Tugenden – ich finde ihn unfreundlich und grob.«
Sie spürte sein polterndes Lachen wie eine Welle durch ihren Körper laufen. »Ich halte ihn natürlich nicht für einen Ausbund an Tugend. Er ist ein rauer Bursche, genau wie ich. Aber er steht zu seinem Wort. Was er verspricht, das hält er, und das ist mehr, als man von den meisten Männern sagen kann.« Damit setzte er sie wieder in den Sattel.
Imogen schauderte. Wenn sie sich einiges von dem vor Augen hielt, was Bastard FitzRoger ihr versprochen hatte, waren de Lisles Worte absolut kein Trost.
4
Am späten Nachmittag kamen sie in die Nähe von Carrisford. FitzRoger ließ den Großteil seiner Leute im Schutz des Waldes zurück, und dann brachen er, de Lisle und einige weitere Männer auf, um die Lage zu erkunden. Imogen wollte diesen Spähtrupp begleiten, und so überredete sie Bert, sich ihm anzuschließen. Sie befanden sich noch im Schutz der Bäume, doch auf einer Anhöhe, die ihnen einen hervorragenden Blick auf Carrisford Castle gewährte.
Beim Anblick ihres Zuhauses, das unversehrt und ohne jeden Makel auf einer Erhebung unweit des Flusses aufragte, schnürte sich Imogens Kehle zusammen. Vom nahe gelegenen Dorf jedoch stiegen Rauchfahnen auf; es wirkte verlassen, wenn auch nicht völlig zerstört.
Sie wandte den Blick wieder der Burg zu und suchte nach Anzeichen von Verwüstungen. Der hohe, quadratische Wohnturm und die beiden mächtigen Mauern, die den inneren und äußeren Burghof umgaben, erhoben sich nach wie vor unbeschädigt auf dem mit Gestrüpp bewachsenen, felsigen Hügel. Der Haupteingang, dem man sich auf einem langen, gewundenen Pfad den Hügel hinauf bis zu der heruntergelassenen Zugbrücke näherte, wurde von zwei Tortürmen flankiert, und das Fallgitter war einladend hochgezogen.
Sie war darauf gefasst gewesen, eine Ruine zu sehen, doch die Burg war so schön wie eh und je.
»Er ist weg«, murmelte sie.
FitzRoger wandte ihr den Blick zu. »Oder er hat eine Falle erdacht, für Euch oder sonst jemanden, der die Burg für sich in Anspruch nehmen will.«
Imogen biss sich auf die Lippe. Wäre sie allein gekommen, sie wäre hocherfreut einfach in die Burg hineingeritten, um sie wieder in Besitz zu nehmen. Wie naiv sie doch war.
»Was tun wir also?«, fragte sie.
»Beobachten und auskundschaften.«
Sie zogen sich alle wieder etwas zurück, stiegen dann ab und versorgten die Tiere. Sir Renald hob Imogen vom Pferd, und sie überredete ihn, sie auf die Anhöhe zu bringen, sodass sie ihr Zuhause im Auge behalten konnte. Er versteckte sie im Unterholz, doch sie hatte trotzdem einen guten Blick. Und sie war noch immer überzeugt, dass Carrisford Castle leer war.
Kurze Zeit später ritten ein paar Männer fort – sicher, um sich in der Umgebung nach Neuigkeiten umzuhören. Einige weitere machten sich zu Fuß in Richtung der Burg auf. FitzRoger kam zu Imogen, lehnte sich stumm an einen Baum und beobachtete die Burg mit Argusaugen.
Sie bemerkte, dass sie mehr ihren Paladin beobachtete als ihr Zuhause. Irgendwie bestand zwischen ihm und der Burg kein Unterschied, dachte sie verdrossen. Er war so stumm und kalt wie eine steinerne Festung. Und wie lange er absolut regungslos dasitzen konnte! Selbst im Schatten war es noch heiß, und eine Rüstung war bestimmt nicht die bequemste Kleidung, aber er saß trotz alledem still da wie eine Statue.
Sein Profil war sehr markant, ging es ihr durch den Kopf, makellose, scharf geschnittene Konturen ...
Hinter ihnen beim Lager kam Unruhe auf, die ihre Betrachtungen unterbrach. Im nächsten Augenblick war FitzRoger in Richtung der Stimmen verschwunden.
Imogen drehte sich um und sah, dass einer
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