Fluch der Nacht: Roman
fair sein und warten, bis sie alle Fakten hatte. Lara war sie gleich sympathisch.
Shea deutete mit einer Handbewegung auf die Höhle. »Komm und lass dich den anderen vorstellen!«
Lara folgte ihr den schmalen, gewundenen Tunnel hinab, der tiefer in den Berg hinunterführte. Wie die Höhle, die Nicolas bewohnte, war auch diese zu warm, um ein Teil des Netzwerkes der Eishöhlen zu sein, und als sie in die Tiefe hinabstiegen, nahm die Wärme sogar noch zu. Wandleuchter erhellten ihnen den Weg, kleine Lichter, die mehr glühten als flackerten. Das gedämpfte Licht fiel auf die Kristalle in den Tunnelwänden, die mit ihren unterschiedlichen Formen und Farben unter den Lichtern ein beeindruckendes Schauspiel boten und die Wand fast surreal erscheinen ließen. Wie in einem traumähnlichen Zustand hatte Lara beinahe das Gefühl, rückwärts durch die Zeit zu der Wärme und der Sicherheit des Mutterleibes zurückzukehren.
Als sie den Raum betraten, in dem die Frauen sich versammelt hatten, wurde die Illusion sogar noch stärker. Zwei der Frauen, Raven und Savannah, lagen in der Mitte auf dem Boden. Ihre Körper waren von schwarzer, mineralhaltiger Erde bedeckt. In einem lockeren Halbkreis um sie herum standen die anderen Frauen und sangen leise das karpatianische Wiegenlied, bei dem sie sich hin und her wiegten, als hielten sie ein Baby in den Armen.
Zwei andere Frauen, eine große, elegante und eine schmale, junge und sehr zerbrechlich aussehende, standen mit erhobenen Händen am äußeren Rand der Erde um Raven und Savannah und sangen leise eine andere wohlklingende Melodie, zu der sie in einem komplizierten Muster die Füße bewegten.
»Syndil und Skyler«, flüsterte Shea. »Sie beleben die Erde. Sie rufen die Mineralien und Heilkräfte zur Rettung unserer Kinder an. Beide sind von unschätzbarem Wert bei der Reinigung der Erde gewesen. Skyler ist Syndils Lehrling und arbeitet schon sehr, sehr gut.«
Es war ein erhebender Anblick, wie diese beiden Frauen ein uraltes Ritual zur Reinigung der Erde durchführten und die Natur um Hilfe anriefen, um die Kinder ihres Volkes zu retten. Lara hörte zu, als Shea ihr die einzelnen Frauen vorstellte, aber sie verfolgte auch die Zeremonie, und ihr wurde ganz warm ums Herz, als sie in Gedanken jeder anmutigen Bewegung der Hände und Füße der beiden Frauen folgte. In irgendeinem Teil ihres Bewusstseins kannte sie diese Zeremonie. Die Worte, die gesprochen wurden, ihr Rhythmus und die Muster waren ihr so vertraut, als wären ihr schon lange vor ihrer Geburt die Kräfte zum Reinigen der Erde übergeben worden.
Es zuckte ihr in den Füßen, sich den beiden Frauen anzuschließen, ihre Hände flatterten und hoben sich, um einen fließenden Bogen in die Luft zu zeichnen. Sie fühlte den Puls der Erde, und ihr Herz veränderte seinen Rhythmus, um sich dem Lied und der Melodie anzupassen. Oh ja, die Worte waren schon in ihr, uralt und schön und von weiblicher Macht erfüllt.
Oh, Mutter Natur, wir sind deine geliebten Töchter. Lara verneigte sich respektvoll, und ihre Füße bewegten sich wie von selbst, um die anmutigen Drehungen aufzugreifen, die Syndil und Skyler an zwei der vier Ecken des Lagers von Raven und Savannah ausführten. Instinktiv übernahm Lara die dritte Ecke. Wir tanzen, um die Erde zu heilen. Wir singen, um die Erde zu heilen. Wir vereinen uns mit dir. Unsere Herzen, Gedanken und Seelen werden eins.
Die Musik war schon in ihrer Seele vorhanden – aber sie brauchten eine vierte Frau. Die drei tanzten und sangen, ihre Stimmen wurden kräftiger, doch sie brauchten eine Stimme mehr. Sie waren nicht stark genug. Mit einem leichten Stirnrunzeln warf Lara Syndil einen Blick zu. Sie mussten ihre Schritte einander anpassen. »Spürt ihr es?«
Die Frauen verstummten. Die warme Höhle pulsierte von der unterbrochenen Macht. Lara hätte in Verlegenheit geraten müssen angesichts all dieser fremden Augen, die auf ihr ruhten. Sie war nicht sicher, ob sie recht hatte, aber irgendetwas fühlte sich ... nicht richtig an. Wieder sah sie prüfend Syndil an. Große Macht ging von der Frau aus und vibrierte in der Luft um sie herum. Sogar ihre Aura flimmerte und pulsierte.
Syndil runzelte die Stirn. »Der Tanz ist nicht ausgewogen, doch daran können wir nicht viel ändern.« Sie blickte Skyler an. »Was meinst du?«
»Es geht einigermaßen, aber er ist nicht ganz richtig so.« Das junge Mädchen zog die Schultern hoch. »Wir können nicht mehr als unser Bestes tun. Wir brauchen
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