Fluch der Nacht: Roman
kann dir jede Chemikalie nennen, die wir im Boden gefunden haben – die meisten von ihnen erzeugen Krebs –, und ...«
Raven legte beschwichtigend eine Hand auf den Arm ihrer Schwägerin. »Lara, unsere Wasserversorgung und unser Boden werden von der allerreinsten Quelle, unserem Gletscher, gespeist. Doch obwohl das so ist, muss Syndil die Erde heilen.«
»Ich sage ja auch nur, dass euer Gletscher möglicherweise nicht die allerreinste Quelle ist. Die Eishöhlen gehören Xavier. Sie verlaufen viele Meilen weit unter den Bergen und sind wie eine ganze Stadt. Sein Berg liegt über eurem Zuhause, und sein Gletscher bildet die Grundlage für eure Wasserversorgung; das Gletscherwasser dringt in eure Erde ein. Ihr habt Xavier unberücksichtigt gelassen, weil ihr dachtet, er sei tot. Aber das ist er nicht. Niemand wird ihn töten. Und er hasst die Karpatianer. Wenn er könnte, hätte er schon einen Weg gefunden, etwas in eure Organismen einzuschleusen, das eine Schwangerschaft verhindert.« Lara fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich behaupte nicht, dass es keine derzeit bekannten Toxine sind, ich finde nur, dass ihr auch in die Vergangenheit blicken solltet, um nach Antworten zu suchen.«
Sie konnte fast nicht glauben, dass sie vor diesem Kreis von Frauen ihre Meinung äußerte. In der Zeit nach ihrer Flucht aus den Eishöhlen war sie gewissermaßen »unter dem Radar« geblieben und stets so still und bescheiden wie nur möglich aufgetreten. Sie hatte schnell gelernt, dass sie nicht auffallen durfte, wenn sie bei einer Pflegefamilie oder in einem Zigeunerlager bleiben wollte – was nicht ganz einfach war mit ihrem Haar und ihren Augen, die je nach Stimmung ihre Farbe wechselten. Die Zigeuner, bei denen sie gewesen war, waren gut zu ihr zu gewesen, aber sie waren abergläubisch, und Laras fremdartige Erscheinung hatte in Verbindung mit ihren psychischen Fähigkeiten häufig Ablehnung hervorgerufen.
»Nur keine Schüchternheit«, ermutigte Francesca sie. »Wir brauchen so viele neue Ideen wie nur möglich, Lara.«
»Nun, wenn ihr mich fragt, ist es nicht nur möglich, dass Xavier etwas mit euren Problemen zu tun hat, sondern sogar mehr als nur wahrscheinlich. Er könnte Toxine in Boden und Wasser verbreiten, aber ich würde mein Leben darauf verwetten, dass er die karpatianischen Frauen mit irgendetwas infiziert hat, das ihre Körper dazu veranlasst, die Babys abzustoßen.«
»Wir haben die Frauen gründlich untersucht, und nicht alle haben das Problem«, sagte Francesca.
»Lasst uns weitermachen«, unterbrach Syndil die Diskussion. »Raven und Savannah brauchen jetzt reichhaltige Erde, um ihren Körper zu kräftigen.«
»Oh, mein Gott!« Shea fuhr herum und sah Francesca aus großen Augen an. »Wir haben die Frauen untersucht, doch es sind die Männer, die das Geschlecht des Kindes bestimmen. Das ist sowohl bei den Menschen als auch bei den Karpatianern so. Aber die Männer haben wir nicht untersucht! Und unser Problem begann mit einer ungleich niedrigeren Geburtenzahl von Mädchen als von Jungen.«
Francesca versuchte offenbar, ihre eigene Erregung zu unterdrücken, und mahnte sich nach so vielen Enttäuschungen zur Vorsicht. »Das klingt vernünftig, doch wir müssen auch weiterhin alle anderen Möglichkeiten in Erwägung ziehen.«
Shea nickte mehrmals und drückte Ravens Hand. »Wir werden Syndil und den anderen helfen, diese Erde zu der bestmöglichen für dich und Savannah zu machen«, versprach sie. »Und dann ziehe ich mich in mein Labor zurück und versuche, das Rätsel zu lösen. Ihr müsst nur noch ein bisschen länger durchhalten.«
Raven nickte, aber feine weiße Linien umgaben ihren Mund, und nackte Verzweiflung stand in ihren Augen. Lara musste sich abwenden, weil sie es nicht ertrug, die Qual in ihrem Blick zu sehen.
Auch einige der anderen Frauen hatten offenbar Ravens Gesicht gesehen, denn sie formten wieder einen lockeren Halbkreis um die beiden Schwangeren. Über einer Feuerstelle in der Ecke hing ein dampfend heißer Wasserkessel, in den Francesca mehrere große Steine unterschiedlicher Zusammensetzung gab. Während sie noch einige kleine blaue Sträußchen und etwas Alraune dazugab, zündeten andere Frauen Duftkerzen an, und sowie der aromatische Duft von Lavendel und Jasmin die Luft erfüllte, stimmten die Frauen wieder das karpatianische Wiegenlied an.
Lara spürte, wie ein überwältigendes Gefühl der Liebe zu den ungeborenen Kindern sie erfasste, als sie einstimmte und ihre
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