Fluch der Nacht: Roman
Sie ist stets freundlich und respektvoll, neigt aber dazu, für sich zu bleiben. Man sieht sie nur selten ohne Vikirnoff.«
Es überraschte Lara nicht, dass Natalya eine Einzelgängerin war. Sie wirkte wie eine sehr selbstbewusste Frau, doch sie war Razvans Schwester und die Enkelin eines der ruchlosesten Männer, die es je gegeben hatte. Wahrscheinlich hatte sie schon in frühester Jugend stets auf der Hut sein und Angst haben müssen, jemandem zu vertrauen. Lara, die nicht sicher war, ob sie ihre eigene traumatische Kindheit je überwinden würde, um sich ganz an Nicolas binden zu können, konnte die Zurückhaltung ihrer Tante jedenfalls sehr gut verstehen.
Natalya kam mit ihrer gewohnten natürlichen Anmut und Gelassenheit herein, ihre blaugrünen Augen groß und fragend. »Du brauchst mich, Raven?«
Die Gefährtin des Prinzen nickte. »Wir kämpfen verzweifelt darum, unsere Kinder zu retten, und Lara und Syndil glauben, dass du die Einzige bist, die uns dabei helfen kann.«
Natalya blickte sich in der Höhle um und sah dann Lara an. »Ich habe keine Erfahrung in heilenden Ritualen, aber wenn ihr mir sagt, was ich tun soll, werde ich mein Bestes geben.«
Raven atmete erleichtert auf. »Danke, Natalya.«
Savannahs lange Wimpern hoben sich. Ihre Augen waren feucht vor Tränen. »Meine Töchter danken dir auch. Sie versuchen, sich festzuhalten, doch mein Körper wehrt sie ab.« Sie schlang die Arme um ihren Bauch und wiegte sich hin und her. »Ich sage ihnen, dass ich sie bei mir behalten will, aber sie fühlen sich von meinem Körper angegriffen.«
Raven nickte. »Genauso ist es bei mir auch. Und ich könnte es nicht ertragen, ein weiteres Kind zu verlieren.«
Die Verzweiflung in ihrer Stimme griff Lara ans Herz. Eine große, elegante Frau mit taillenlangem schwarzem Haar kniete sich sofort zwischen die zwei schwangeren Frauen und legte beiden eine Hand auf.
»Das ist Francesca, die Seelengefährtin Gabriels«, stellte Natalya sie Lara vor. »Sie ist Heilerin und Skylers Adoptivmutter. Eine erstaunliche Frau. Und nun sagt mir, was ich tun soll!«
Lara war froh, ihre Tante hierzuhaben. Sie kannte keine der Frauen, und wenn sie Skyler anschaute, kam es ihr so vor, als sähe sie sich selbst als junges Mädchen: ein bisschen verloren, sehr allein, traumatisiert. Der Teenager verunsicherte sie und ließ sie sich verwundbar fühlen. Natalya dagegen schien den Frauen ein Rätsel zu sein, auch wenn offensichtlich war, dass alle sie bewunderten.
»Als Erstes müssen wir die Erde heilen«, erklärte Syndil. »Wir haben die fruchtbarste hierher gebracht, die wir finden konnten, und sie mit mehr Mineralien versehen, aber wir müssen sie noch von allen Giften reinigen.«
»Und den Parasiten«, murmelte Lara.
Shea fuhr herum. »Was hast du gesagt?«
Lara wünschte, sie hätte den Mund gehalten, denn alle sahen sie nun erwartungsvoll an. Sie drückte zwei Finger an ihre pochende Schläfe. »Tut mir leid. Ich habe nur laut gedacht.«
»Nein, ich muss wissen, was du gesagt hast«, beharrte Shea.
Lara zuckte unglücklich die Schultern. Sie wollte nicht einmal an ihre Kindheit denken , geschweige denn darüber reden. »Xavier hat stets mit Parasiten experimentiert. Er war nie mit ihnen zufrieden und suchte immer nach Verwendungsmöglichkeiten für sie. Einmal sagte er, sie seien nützlicher gewesen als seine talentiertesten Magier. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er irgendetwas täte, ohne zuallererst an sie zu denken. An die Parasiten, meine ich. Er könnte Gifte für die Erde entwickeln, aber was ist, wenn er einen Schmarotzer geschaffen hat, der in den Körper eingedrungen ist und eine Schwangerschaft verhindert?«
Francesca stand langsam auf und suchte über Ravens und Savannahs Köpfe hinweg Sheas Blick.
»Wir haben nach unbekannten Mikroben Ausschau gehalten. Wir durchleuchten die Frauen ständig«, sagte diese. »Gregori würde so etwas nicht entgehen.«
»Das mag ja sein«, versetzte Lara, »doch Xavier ist ein Meister in der Arbeit mit mikroskopisch kleinen Amöben. Und wenn ihr tanzt, um die Erde zu heilen, haltet ihr nach bekannten Toxinen Ausschau.«
Shea runzelte die Stirn. »Hast du eine Ahnung, wie viele Toxine man in der Nabelschnur eines Neugeborenen oder in der Muttermilch findet? Die Erde ist unser Lebensraum und das, was uns verjüngt, aber unsere Kinder können nicht mit uns unter die Erde gehen oder die perfekteste und nahrhafteste Milch trinken, die die Natur hervorzubringen vermag. Ich
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