Fluch der Nacht: Roman
sie herum, als wären sie nicht mehr als Treibgut auf den Wogen einer entfesselten See.
Gregori und Nicolas bekamen den größten Teil der Energie ab, die sie jedoch beide lieber in sich aufnahmen, statt sich dagegen zur Wehr zu setzen, während sie versuchten, den Prinzen vor der größten Wucht des Aufpralls zu beschützen. Als Nicolas zurückgeschleudert wurde, wechselte er noch in der Luft die Richtung und sprang auf seine Seelengefährtin zu, für den Fall, dass Gregori mit einer tödlichen Bedrohung auf den Angriff auf ihren Prinzen reagieren sollte. Dabei stieß er hart mit Lara zusammen, als er, von einer Macht umgeben, die ihm anhaftete wie dicke Taue und den ganzen Raum erleuchtete, durch die Luft flog, seine Gefährtin zu Boden warf und mit seinem hochgewachsenen Körper ihren viel kleineren bedeckte.
Sie versuchte, sich unter ihm wegzurollen, aber er ergriff ihre Handgelenke und hinderte sie daran, neue Schutzzauber zu weben, indem er ihre Arme über ihren Kopf zog und sie auf den Boden drückte. »Lara, sieh mich an!«
Sie erstarrte unter ihm, ihre Augen ins Nichts gerichtet und wie leer. Ihr Körper war eiskalt, beunruhigend kalt sogar. Nicolas zögerte nicht, sondern drang sogleich in ihr Bewusstsein ein und folgte ihr auf dem Weg ihrer Erinnerungen ...
Der Gestank nach fauligem Blut war stark und vermischte sich mit dem nicht minder widerlichen von verwesendem Fleisch. Dann hörte Nicolas die Schreie und das Stöhnen, das fortwährende Schluchzen von jemandem, der große Qualen litt, die nicht nur körperlicher, sondern auch geistiger Natur waren. Nicolas ging den eiskalten Gang hinunter, der zu einem großen Raum mit hoher Decke und ebenso hohen Säulen führte. Rote Farbspritzer durchzogen das eisige Blau der einen Wand, an der ein Mann am Boden angekettet war. Er war nackt und hatte Augen, in denen der Wahnsinn brannte, und er wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, als winzige weiße Parasiten sich an seinem Körper gütlich taten. Nicolas erkannte in ihm einen der erbittertsten Feinde der Karpatianer – Razvan, den Enkel von Xavier, dem ältesten und mächtigsten der Magier.
Neben Razvan angekettet lag der regungslose Körper einer Frau. Ihr Mund war weit aufgerissen, als wäre sie schreiend gestorben, das Gesicht erstarrt zu einem Ausdruck des Entsetzens. Die Parasiten fraßen an ihr, während Razvan verzweifelt versuchte, sie von dem Leichnam zu vertreiben. Seine Hände waren schon blutig von seinem hilflosen Einschlagen auf das Eis. Plötzlich blickte er auf, und Nicolas folgte seinem gequälten Blick zu einem in der Ecke kauernden Kind, das rotes Haar mit dunkleren, kupferfarbenen Strähnen hatte und sich die Fäuste in den Mund steckte, um nicht zu schreien. Er konnte das Alter von Kindern nicht gut einschätzen, aber für ihn schien das kleine Mädchen nicht älter als drei oder vier zu sein. Die Augen der Kleinen ruhten auf dem Gesicht der Frau, und sie weinte leise vor sich hin.
Mama.
Alles in Nicolas erstarrte. Einen Augenblick lang blieb er reglos stehen, aber dann erwachte wilder Zorn in seinem tiefsten Innern und bahnte sich den Weg nach oben. Er wollte dieses Kind ergreifen und es in Sicherheit bringen, doch das Einzige, was er tun konnte, war, die Frau zu retten, die er jetzt und hier in den Armen hielt. Er nahm Laras Gesicht zwischen seine Hände. Kein Kind dürfte solchen Dingen ausgesetzt werden.
» Avio siel , mein Herz, komm zurück zu mir!« Er flüsterte, als er den Befehl erteilte, unterlegte ihn aber mit einem starken Zwang. »Du bist in Sicherheit, Lara. Ich bin dein Seelengefährte und werde dich bis zu meinem letzten Atemzug beschützen.«
Ihr trüber, umwölkter Blick richtete sich auf sein Gesicht.
»Ja. Sieh mich an! Konzentrier dich ganz auf mich! Lass dich von mir zurückführen!«
In der Eishöhle ihrer Erinnerungen wartete er nicht darauf, dass das Kind in Lara reagierte. Mit grenzenloser Zärtlichkeit hob er das kleine Mädchen hoch und bedeckte seine Augen, legte sein Gesicht an seine Brust und sprach mit beruhigender Stimme auf die Kleine ein, als er der grauenhafte Szene den Rücken kehrte und hinausging.
Laras lange Wimpern flatterten, und das trübe Blau ihrer Augen verdunkelte sich, während sie zu ihm aufschaute. Sie tat einen unsicheren Atemzug. Nicolas lehnte sich zurück, um sie in eine sitzende Position zu bringen. Sie sah sich um, und Besorgnis schlich sich in ihren Gesichtsausdruck.
»Habe ich jemanden verletzt?« Sie senkte den Kopf
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