Fluch der Nacht: Roman
Wir hatten vor, sie ausfindig zu machen. Später gaben wir den Plan natürlich auf, und seither hat sich niemand mehr für irgendeins der anderen Geschlechter interessiert, um festzustellen, ob sie ein Lebensquell sein könnten.«
»Und hattet ihr von irgendeiner anderen Familie den Eindruck, dass sie dazu in der Lage war?«
»Du klingst, als wärst du bereit, auf der Stelle alles hinzuwerfen, wenn es eine gäbe.«
»Ohne Zögern«, sagte Mikhail, aber dann seufzte er und schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt keinen richtigen Weg, Nicolas, und nur weil mein Geschlecht die Last der Führung tragen muss, haben wir noch lange nicht die Lösungen für alles. Ich bin genauso fehlbar wie jeder andere Karpatianer. Jedes Mal, wenn wir ein Kind verlieren. Jedes Mal, wenn eine unserer Frauen eine Fehlgeburt hat oder ein Kind stirbt. Ich betrachte es als mein Versagen und meine Schande, dass ich nicht die Lösung für unser aussterbendes Volk gefunden habe. Ich sitze gut geschützt in meinem Haus, während meine Krieger ausziehen, um das Böse zu bekämpfen, und Teile von sich selbst dabei verlieren. Gute Männer, bessere als ich, stehen praktisch unermüdlich zwischen mir und der Gefahr. Würde ich beiseitetreten und einen anderen regieren lassen? Auf der Stelle – vor allem, wenn er klüger wäre als ich.«
Nicolas schüttelte den Kopf. »Wir haben damals einen Fehler gemacht – genau wie du jetzt, Mikhail, wenn du so denkst.«
Der Prinz schenkte ihm ein kleines schiefes Lächeln. »Ich habe sogar schon daran gedacht, mir das Leben zu nehmen. Bevor ich Raven, meine Seelengefährtin, fand, wollte ich meinem Leben ein Ende setzen, um das endgültige Aussterben unserer Spezies nicht mitansehen zu müssen. Du und die anderen Krieger, die meinem Vater dienten, seid viel älter, habt länger gejagt und länger durchgehalten, aber ich konnte unter der Last meiner Versäumnisse nicht mehr weitermachen. War das nicht viel schlimmer? War das nicht Feigheit?«
Nicolas schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es war Verzweiflung. Als ich in der gleichen Situation war, bin ich auf der Straße herumgelaufen und wollte dort die Morgendämmerung abwarten, weil ich mir nicht zutraute, es auch nur eine weitere Nacht zu schaffen. Jeder Jäger sieht sich irgendwann diesem Moment gegenüber, aber wir tragen dazu nicht auch noch die Verantwortung für eine ganze Spezies auf unseren Schultern.«
Mikhail klopfte ihm auf die Schulter. »Wir sind alle fehlbare Männer, alter Freund. Jeder Einzelne von uns. Wir sündigen, und unsere Frauen retten uns.«
Nicolas antwortete mit einem schiefen Grinsen. »Das ist wahr.«
»Erzähl mir von deiner Gefährtin. Woher kommt sie? Das Drachensucher-Blut ist stark in ihr.«
Nicolas’ weiße Zähne blitzten in einem echten Lächeln auf, das seine Augen zum Leuchten brachte. »Sie ist die Tochter von Razvan, und sie ist wirklich ganz erstaunlich. Ich kann dir nicht einmal beschreiben, wie es in mir aussieht. Ich kenne sie kaum, und doch will ich schon jeden Augenblick mit ihr verbringen. Sie erschien buchstäblich aus dem Nichts heraus, genau im richtigen Moment, und rettete mir das Leben, meinen Verstand und meine Seele. Ich sehe mich um und verstehe nicht, wie ich all diese Jahrhunderte ohne sie überlebt habe. Die Welt ist wieder lebendig für mich, Mikhail. Ich hatte die Schönheit der Natur schon ganz vergessen. Ehrlich gesagt hatte ich sogar vergessen, was für ein Gefühl es war, meine Brüder aufrichtig zu lieben.«
Mikhail stieß einen tief empfundenen Seufzer aus. »Ein weiteres Kind mit Drachensucher-Blut ist uns mehr als nur willkommen. Und was die Freude angeht, die unsere Gefährtinnen uns bringen, so habe ich Raven jetzt schon viele Jahre in meinem Leben und bin trotzdem jedes Mal, wenn ich aus dem Schlaf in der Erde erwache, von Neuem überwältigt von dem Geschenk, das sie mir gemacht hat.«
Nicolas räusperte sich. »Ich bin mir nicht sicher, ob meine Seelengefährtin einen Grund sieht, bei mir zu bleiben.«
»Es gibt für unsere Frauen keinen anderen Grund, bei uns zu bleiben, als die Art und Weise, wie wir sie an uns binden können. Sie sind Licht in unserer Dunkelheit, und je dunkler unsere Seelen sind, desto stärker muss die Frau sein. Pass also gut auf deine Gefährtin auf, Nicolas. Sie ist ein unermesslich kostbarer Schatz.«
Nicolas ließ sich Mikhails Worte durch den Kopf gehen. Es gab tatsächlich keinen anderen Grund für ihre Frauen, sie zu akzeptieren, als die uralten
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