Fluch der Nacht: Roman
Erinnerungen über die Jahrhunderte verblasst waren, war er nicht gefasst auf das Ausmaß der Empfindungen, die ihn übermannten. Im selben Moment, in dem sich sein Blut mit dem seiner Vorfahren vermischte, rief seine Seele die Seelen der Krieger an, die nicht mehr waren – und sie antworteten, erfüllten ihn mit Kraft und verliehen ihm Klarheit, sodass jede Einzelheit für ihn sehr deutlich und lebendig war.
Sein Herz schlug in einem anderen Rhythmus, er hörte das Auf und Ab des Blutes, das durch seine Adern rauschte wie die Ebbe und Flut der endlosen Gezeiten. Er spürte die heilende, Klarheit bringende Energie, die von den Kristallen erzeugt wurde, und unter dem Wald von Kristallen, Hunderte von Fuß weit unter ihm, spürte er das Magma, die natürliche Gesteinsschmelze im Erdinneren, deren Hitze sich auf die Höhle übertrug. Die Hitze und das Feuer fachten die Bedürfnisse seines Körpers an und steigerten sein Verlangen nach seiner Gefährtin. Die längst dahingegangenen alten Krieger sprachen in der Sprache seines Volkes zu ihm: Eläsz jeläbam ainaak. Kulkesz arwa-arvoval, ekäm. Arwa-arvo ölen gaeidnod, ekäm. Mögest du lange leben im Licht. Geh mit Ehre, Bruder. Möge Ehre dich leiten, Bruder ... Die Stimmen fuhren fort und ermutigten ihn, den Weg des Kriegers zu beschreiten, so wie auch sie es vor ihm getan hatten.
Dann nahm Mikhail sein Blut, und Nicolas verspürte die sofortige Verbindung zu dem karpatianischen Volk, zu Männern und Frauen gleichermaßen, und die Einheit von Stärke und Entschlossenheit.
Einer nach dem anderen folgten die Krieger und die restlichen Frauen, bis nur ein Einziger das Ritual noch nicht vollzogen hatte.
An seinem Prinzen vorbei blickte Gregori zu dem Mann, der, die Arme vor der Brust verschränkt und mit dem Rücken an der Wand, links von ihnen in der Nähe des Eingangs stand. Gregoris silbrige Augen blickten herausfordernd in die metallisch grünen Dominics, die ihn als Angehörigen der Drachensucher-Familie auszeichneten. Tiefes Schweigen legte sich über den Saal. Das Summen der Kristalle wurde lauter, nachdrücklicher, als riefe es den letzten Krieger.
»Kein Mann sollte gezwungen werden, Treue zu schwören, Gregori«, wies Mikhail ihn sanft zurecht. »Dominic, du hast unserem Volk immer treu gedient. Niemand, ich am allerwenigsten, zweifelt deine Ehre an. Es genügt, dass du meinem Vater einen Eid geleistet hast.«
Bevor Gregori etwas sagen konnte, schüttelte Dominic den Kopf und trat mit ruhigen, gemessenen Schritten vor. »Es sind schwere Zeiten, und man kann nicht wissen, wer Freund ist oder Feind. Gregori würde seiner Position nicht gerecht, wenn er dich nicht gut beschützen würde. In den vergangenen Jahren habe ich meine verlorene Schwester gesucht, aber ich weiß, dass sie tot ist, diese Welt schon längst verlassen hat und ich sie nicht mehr retten kann. Und sie würde auch nicht wollen, dass ich sie aus der Schattenwelt zurückhole, denn nun ist sie endlich bei ihrem Seelengefährten, und ich hoffe aus tiefster Seele, dass sie ihren Frieden gefunden hat.« Er schwieg einen Moment. »Es ist an der Zeit, meine Pflichten unserem Volke gegenüber wiederaufzunehmen.«
Auch er drückte seine Hand auf die kristallene Spitze, und tiefrotes Blut quoll über so viele andere Schattierungen von Blut hinweg. Das Licht im Raum wechselte nun auch die Farbe; Dampf stieg auf, und einige der riesigen Kristalle nahmen ein sanftes weißes Leuchten an, als wäre der Mond in die Höhle eingedrungen und werfe ein beifälliges Licht auf Dominic. »Ich widme mein Leben unserem Volk und schwöre ihm bei meinem Blut die Treue«, sagte er und reichte dann Mikhail die Hand.
Der Prinz akzeptierte das Geschenk und nahm Dominics Blut in sich auf. »Als Stellvertreter unseres Volkes nehme ich dein Opfer an.«
Dominic erhob sich. »Jemand muss sich in das Lager unserer Feinde einschleichen und herausfinden, was sie als Nächstes planen. Unsere Frauen und Kinder sind in Gefahr, und wir können nicht ignorieren, dass wir weniger als dreißig Frauen haben, um unsere Spezies wiederaufzubauen. Unsere Frauen müssen ihre Verantwortung unserem Volke gegenüber anerkennen.« Er richtete seinen Blick einen Moment lang auf Natalya und ließ ihn dann zu jeder anderen Frau in der Höhle weiterwandern. »Sie dürfen ihr kostbares Leben nicht unnötigerweise noch mehr in Gefahr bringen. Ich melde mich freiwillig als Spion im Lager der Vampire.«
Mikhail schüttelte den Kopf. »Ihr Blut sagt
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