Fluch der Nacht: Roman
das schnelle Heben und Senken ihrer Brüste sehen konnte, als sie sich an das heiße und kalte Pochen in ihrem Muttermal erinnerte, an dieses widersprüchliche Signal, das sie ebenso sehr oder sogar noch mehr ängstigte als ein stetes Brennen. Ihr Vater hatte diese sonderbare Reaktion sehr oft in ihr erzeugt, wenn sie in seiner Nähe gewesen war.
Ihr Puls dröhnte in ihren Ohren, ihr Herz hämmerte so laut, dass sie kaum noch das herabfallende Wasser hören konnte. Was war los mit ihr? Sie schwankte, als sich ihr der Magen umdrehte und ihr Handgelenk, ihre Kehle und ihr Nacken zu brennen begannen. Nicolas schien ein charmanter Mann zu sein, aber was wusste sie eigentlich von ihm? Er war nie unfreundlich zu ihr gewesen, nicht einmal dann, als sie ihm ein Messer zwischen die Rippen gestoßen hatte – und trotzdem wusste sie so gut wie gar nichts über ihn.
Furcht stieg in ihr auf. Sie hatte bei Menschen gelebt, bei gutmütigen, unkomplizierten, meistens wirklich netten Leuten. Doch das verwirrte Kind hatten diese Leute nicht verstanden und es von Familie zu Familie weitergegeben, sodass sie ständig unterwegs gewesen war, aber sie hatten immerhin für ihre Grundbedürfnisse gesorgt, und keiner hatte versucht, sie zu seinem eigenen Vorteil zu missbrauchen. Sie hatte fast vergessen, dass es eine Welt aus Täuschung, Verrat, Töten oder Getötetwerden gab.
Wieder versuchte sie, ganz behutsam an Nicolas’ Geist zu rühren, um eine Verbindung zu ihm herzustellen. Sofort wurde sie von Hunger, von dem Bedürfnis, Blut zu sich zu nehmen, ergriffen. Sie hörte das Rauschen des pulsierenden Lebens in den Adern eines Bauern, der damit beschäftigt war, einer Kuh Geburtshilfe zu leisten. Sie hörte den starken, gleichmäßigen Herzschlag des Mannes, roch seine robuste Gesundheit und sah eine kräftige männliche Gestalt, die das Kalb mit einem Tuch abrubbelte, während er beruhigend auf die Kuh einsprach. Lara schlich näher und roch das Blut von der Geburt. Es steigerte noch das drängende Verlangen in ihr, den Hunger, der jetzt in ihr tobte, sie im Griff hielt und sie leitete. Sie fuhr mit der Zunge über ihre Zähne und nahm eine Verlängerung und Schärfe ihrer oberen Eckzähne wahr. Auch ihr Herzschlag veränderte sich und passte sich nach und nach dem Rhythmus des arglosen, über seine Kuh gebeugten Farmers an.
Auf telepathischem Wege mit Nicolas’ Geist vereint, verspürte sie die geschmeidigen, lautlosen Bewegungen des Raubtiers, das sich an sein Opfer heranpirschte. Ein Hund versuchte zu bellen, aber Nicolas – und sie selbst! – brachten ihn mit einer schnellen, gebieterischen Handbewegung zum Schweigen. Ein Adrenalinstoß ging durch ihre Adern. Sie spürte die Bewegung dort, die berauschender war als alles, was sie je zuvor erfahren hatte. Das Blut hämmerte an ihren Schläfen und dröhnte in ihren Ohren. Dann war sie auf dem Mann, und in diesem einen Moment der Erkenntnis raste ihr Herz und rebellierte ihr Verstand – nur um dann ganz und gar von Nicolas übernommen zu werden, von ihm und ihrem fremden Selbst.
Wie berauschend sie war, diese absolute Macht, über Leben oder Tod zu entscheiden! Zähne schlugen sich in Fleisch, und der volle, reiche Geschmack des Blutes durchflutete sie und erfüllte Organe und Gewebe mit neuer Kraft und Energie. Lara schnappte nach Luft, zog sich blitzartig aus Nicolas’ Geist zurück und stolperte durch das Wasser auf die Felsen zu, wo sie sicher auf den Beinen stand.
Verlangen und Hunger übermannten sie mit kaum noch zu ertragender Heftigkeit. Sie kämpfte dagegen an, aber sie wusste, dass sich dieses Bedürfnis, wenn es erst mal erwacht war, nur mit Blut befriedigen ließ. Nicolas hatte etwas in ihr geweckt, das sie immer verzweifelt zu unterdrücken versucht hatte.
Nicolas nahm einem menschlichen Wesen Blut. Benutzte diese Person wie Vieh. Schlimmer noch: Er manipulierte den Geist seines Opfers und tat es, ohne Zaubersprüche oder -tränke anzuwenden. So mächtig war er.
Laras Handgelenk schmerzte und brannte. Als sie es sich ansah, stellte sie erschrocken fest, dass die Haut daran aufgerissen – und zerkaut! – war, als hätten Zähne daran geknabbert und gezerrt. Blut lief aus der Wunde auf die Felsen, und dicke Tropfen fielen in den Teich. Auch ihr Nacken schmerzte an der Stelle, wo Nicolas sie gebissen hatte. Als sie ihre Hand darüberlegte und sie wieder zurückzog, war sie blutverschmiert. Die Illusion war so stark, dass ihre Augen sich vor Entsetzen weiteten,
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