Fluch der Nacht: Roman
weiter. Der Ausgang der Höhle war eine große, runde Öffnung im Fels. Das von dort eindringende Licht fiel ein paar Fuß in den Gang hinein und erhellte den schmaler werdenden Tunnel.
Lara trat in den Lichtkreis kurz vor der Öffnung, und plötzlich fiel ein Schatten über sie. Ein großer, dunkelhaariger Mann mit breiten Schultern stand im Eingang und versperrte ihr den Weg. Es war Nicolas, der mit schmalen Lippen, einen harten Zug um Kinn und Augen, vor ihr stand. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt.
Abrupt blieb Lara ein paar Schritte vor ihm stehen. In ihren Ohren rauschte es, ihr Herz fühlte sich an wie in einem Schraubstock, so verkrampft war es. Schuldbewusstsein beschlich sie, das sie jedoch schnell verdrängte. »Ich will gehen. Lass mich durch!«
»Wo würdest du denn hingehen, nachdem die Sonne bereits aufgegangen ist?« Obwohl die Frage in mildem Ton gestellt war, trug sie die Schärfe eines Peitschenhiebs in sich.
Er war wütend. Sie konnte den Zorn, der von ihm ausging, spüren, obwohl sein Gesichtsausdruck und seine Stimme völlig ruhig blieben.
Lara schob das Kinn vor. »Ich habe ein Zimmer in dem Gasthof.«
»Das im Moment belegt ist. Es wäre gefährlich für dich, dorthin zu gehen, und das weißt du selbst am besten. Außerdem ist der Gasthof weit entfernt, und du würdest unterwegs im Sonnenlicht verbrennen. Ohne mich kannst du dich nicht verwandeln, und dein Leben zu riskieren, um von diesem Berg herabzukommen, ist lächerlich, solange kein plausibler Grund dazu besteht.«
»Kein plausibler Grund? Ich will raus aus dieser Höhle.«
»Wir werden sie zusammen verlassen, aber erst heute Abend, wenn es ungefährlich ist. Für den Moment habe ich dir etwas zu essen und zu trinken mitgebracht.«
»Ich habe gesagt, ich will weg von hier!« Lara hob eine Hand an ihren Nacken und legte sie schützend über die beiden kleinen Bisswunden an ihrem Puls. Sie konnte noch Nicolas’ Mund dort spüren, seinen heißen Atem, die Berührung seiner Lippen, die sanft und sinnlich über ihre Haut geglitten waren ...
»Du kannst offensichtlich nicht klar denken, Lara«, sagte er. »Es ist zu gefährlich für dich, jetzt zu gehen. Ich kann nicht zulassen, dass du dich in Gefahr begibst.«
»Das ist nicht deine Sache«, fauchte Lara. Sie hasste es, wie vernünftig er klang, während sie sich schon hysterisch anzuhören begann. Es war verrückt, aber da stand er, sehr real und sehr solide, und hinderte sie daran, die Höhle zu verlassen – genauso, wie man sie als kleines Kind daran gehindert hatte. Sie kämpfte gegen ihre Panik an und bemühte sich, Vernunft zu bewahren in dieser unvernünftigen Situation.
»Es ist nicht nur meine Sache und mein Recht, sondern auch meine Pflicht als dein Seelengefährte.«
Nicht so sehr, weil sie es wirklich wollte, sondern mehr, weil sie nicht anders konnte, rührte Lara sein Bewusstsein an. Wie schon vorher gewährte er ihr offenen Zugang und erlaubte ihr, sowohl das Raubtier als auch den Mann in ihm zu sehen. Er war verärgert über ihren Trotz, überzeugt davon, im Recht zu sein, und nicht gewohnt, dass jemand seine Autorität anzweifelte. Er war ein dominanter Mann und überaus geschickter Jäger, der seit Jahrhunderten auf dieser Erde lebte und es als Affront gegen seinen Stolz betrachtete, dass seine Seelengefährtin nicht nur seine Fähigkeit infrage stellte, sie zu beschützen und für sie zu sorgen, sondern zudem auch noch befürchtete, er könne sie in irgendeiner Form verletzen.
Er mochte es nicht, wenn sich jemand seinen Anordnungen widersetzte, schon gar nicht seine Frau, und er dachte gar nicht daran, sie aus der Höhle herauszulassen, solange er es für gefährlich hielt. Was ihn anging, war sie nur ein bisschen hysterisch und völlig unvernünftig.
Lara kämpfte die Panik nieder und atmete tief durch. Nirgendwo in seinem Bewusstsein konnte sie sehen, dass er versuchte, ihre Gedanken zu beherrschen. Das war immerhin eine gewisse Erleichterung, auch wenn Lara sich ziemlich sicher war, dass er nicht die Absicht hatte, sie überhaupt je wieder gehen zu lassen. Sie musste versuchen, ihn umzustimmen.
»Ich glaube, wir verstehen uns nicht. Ich weiß es zu schätzen, dass du mich beschützen willst, doch ich komme schon seit einigen Jahren ganz gut allein zurecht. Ich brauche weder dich noch sonst jemanden, der mir sagt, was gut für mich ist und was nicht.«
»Was ich dir aber leider nicht ganz abnehmen kann, Lara, da wir sonst nämlich nicht bei
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