Fluch der Nacht: Roman
Recht, dich zu beschützen. Ich drohe dir nicht, Lara. Du bist diejenige, die uns beide in Gefahr bringt. Es ist meine Pflicht, dich zu beschützen. Deine Ängste sind grundlos. Du hast in meinen Geist geschaut und nichts gefunden, was dich beunruhigen könnte ...«
Sie gab einen verächtlichen Laut von sich und versuchte erneut, sich loszureißen. Aber er hielt sie eisern fest und ihren Körper dicht an seinem, um zu verhindern, dass sie von herabfallendem Gestein getroffen wurde.
»Ich habe genug Beunruhigendes gefunden. Du bist genauso finster wie ein Vampir.«
Sie war sicher, dass er das bestreiten würde – wollte , dass er es bestritt –, doch er nickte nur und blickte ihr noch immer ruhig in die Augen.
»So ist es. Alle karpatianischen Jäger werden irgendwann so finster wie Vampire. Wie könnte es auch anders sein, wenn wir Freunden und Familienangehörigen das Leben nehmen müssen? Wenn wir Richter, Jury und Henker sind? Dachtest du, wir müssten keinen Preis für das bezahlen, was wir tun? Alles hat seinen Preis, Lara, und das müssen wir akzeptieren, wenn wir die Aufgabe übernehmen.«
Langsam atmete sie ein und aus und brachte ihren Geist wieder unter ihre eigene Kontrolle. »Bitte, lass mich los!« Mit einem weiteren tiefen Atemzug schaffte sie es, die von ihr ausgehende Energie zurückzuholen und die Wellen in Boden und Wänden einzudämmen, die die Unruhe in der Höhle verursachten.
»Ich kann dich viel schneller zu dem Raum zurückbringen.«
»Ich würde lieber gehen.« Sie zog an ihren Armen und versuchte, einen Schritt zurückzutreten, um der Hitze seines Körpers zu entkommen. Er war zu groß, zu stark, zu maskulin, aber vor allem war er ihr einfach zu mächtig und überschwemmte sie mit seinem unerhörten Selbstvertrauen.
Nicolas ließ sie in dem Moment gehen, als Erde und Wände aufhörten, sich zu wellen, und der letzte Stein zu Boden fiel.
Lara tat einen weiteren tiefen Atemzug und blickte den dunklen Korridor hinunter. »Ich wünschte, du könntest verstehen, dass ich nicht glaube, es hier einen ganzen Tag lang aushalten zu können.« Es fiel ihr nicht leicht, die Worte herauszubekommen und zu versuchen, vernünftig mit diesem Unvernünftigen zu reden.
»Mir ist schon klar, dass die Höhle unschöne Erinnerungen in dir weckt, aber ich helfe dir, sie auszuhalten.«
Seine Arroganz ging ihr auf die Nerven. Als könnte er ihre ach so unbedeutenden Probleme lösen, wenn sie es selbst nicht konnte! Lara ging an ihm vorbei und folgte dem schmalen Gang ein Stück zurück. Sofort entzündeten sich die Kerzen in den Haltern über ihren Köpfen und warfen Schatten auf die Tunnelwände. Das Licht konnte die Angst in Lara jedoch nicht vertreiben. Sie war eine Gefangene, egal, wie sie es auch sehen wollte, und sie hatte sich geschworen, dass das nie wieder geschehen würde – und das würde es auch nicht.
Der schmale Gang verbreiterte sich ein paar Schritte hinter einem regelrechten Vorhang aus Stalaktiten – schmal zulaufenden, dunklen Dolchen in Braun und Gold mit tödlich scharfen Spitzen. Diese von der Decke hängenden Speere schimmerten in erdigen Tönen und waren so lang und dick, dass Lara den Gang für geschlossen gehalten hatte, undurchdringlich jedenfalls von dieser Seite, aber nun konnte sie noch mehr Gänge sehen, ein ganzes Labyrinth von Wegen unter dem Berg, die alle in verschiedene Richtungen führten. Nicolas hätte dafür sorgen können, dass sie sich hier verirrte, doch er hatte ihr wie versprochen den richtigen Weg zum Ausgang der Höhle beschrieben, auch wenn er ihr nicht erlauben wollte zu gehen.
»In der Geschichte der Seelengefährten, die meine Tanten mir erzählt haben, schien das Paar sehr verliebt zu sein. Das kann ich mir bei uns nicht vorstellen«, bemerkte Lara mit steifem Rücken. »Du?«
»Aber ja«, erwiderte Nicolas im Brustton der Überzeugung.
Dann trat er einen Schritt vor und war ihr wieder so nahe, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Sie bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. Sein Atem war an ihrem Ohr, eine seiner Hände streifte über ihren Rücken. Mit aller Kraft versuchte sie, die starke körperliche Anziehung zwischen ihnen zu ignorieren, die nie nachzulassen schien, was immer auch geschah. Vielleicht fühlte sie sich ja gerade von der Gefahr, die von ihm ausging, angezogen, jener Gefahr, an der sie solchen Anstoß nahm. Was immer es auch sein mochte, wenn er ihr so nahe war, fiel es ihr einfach furchtbar schwer, noch klar
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