Fluch der Nacht: Roman
entstehen.
»Du zeichnest mich.« Lara zeigte auf ihren Kopf. »Vergiss mein Haar nicht!«
Er rieb sein Kinn an ihrer Schulter und legte etwas Übermütiges in seine Stimme und seinen Geist. »Wer wird denn gleich so ungeduldig sein?«
Sie antwortete mit einem schwachen Lächeln, aber es war immerhin schon mal ein Anfang. Nicolas stellte sich absichtlich sehr ungeschickt an, als er ihr Haar entwarf, und gab ihm unterschiedliche Längen rechts und links.
Lara stieß ihn an und lachte laut. »Ein Künstler bist du nicht.«
»Und wenn, dann mehr ein Musiker. Zeichne du das Haar!«
Sie wählte mehrere besonders helle Sterne aus und verband sie, bis sie wie lange, aus einem herzförmigen Gesicht zurückgewehte Haarsträhnen aussahen.
Nicolas legte eine Hand unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht von einer Seite zur anderen, um seine Struktur genauer zu betrachten. »Du hast kein spitzes Kinn.«
»Mag sein, doch der Stern passt wunderbar dahin.«
Nicolas schwenkte die Hand und ließ parallel zu dem anderen einen weiteren Stern erscheinen.
»Das ist Schummelei.«
Er drückte einen Kuss auf ihren Scheitel. »Aber dir viel ähnlicher. Du hast diese süße kleine Kerbe hier«, erklärte er und tippte mit dem Daumen auf die Stelle, »die ich schon immer ganz entzückend fand.« Mit einem kleinen Lächeln beugte er sich vor, um zuerst ihren Mundwinkel und dann diese Stelle mit den Lippen zu berühren.
Laras Herz begann zu hämmern, doch Nicolas dehnte und streckte sich nur träge und glitt vom Bett, um vor den Wald zu treten. Dort hob er seine Arme, und Musik begann. Zuerst nur das leise Schlagen einer Trommel, dann kamen die melodischen Klänge einer Gitarre hinzu, und ein Piano schloss sich an, gefolgt von verschiedenen Blasinstrumenten.
Lara schloss die Augen und ließ sich von der Musik verzaubern. Sie war sehr schön; es handelte sich dabei offensichtlich um ein bekanntes Stück. Es steckte viel mehr in Nicolas als der aggressive Jäger, für den sie ihn gehalten hatte. Das Rauschen des in den Teich fließenden Wassers erhöhte noch das beruhigende Gefühl des Waldes und der Musik. Lara spürte, wie Nicolas sich wieder neben ihr auf dem Bett ausstreckte.
»Ich muss für eine Weile gehen, Lara. Ich brauche Nahrung«, sagte er und strich ihr mit der Hand über das Haar. »Ich würde es nicht tun, weil ich weiß, dass es dich aufregen könnte, aber du bist sehr schwach, und ich muss dich wieder zu Kräften bringen.«
Sie befeuchtete die Lippen. Ihr Herz begann zu rasen, und sie konzentrierte sich auf die Musik, weil sie wusste, was er meinte. Doch ihr war auch klar, dass er recht hatte. Wenn sie die Leichname ihrer Tanten finden wollte – oder zumindest eine Antwort darauf, was den beiden zugestoßen war –, musste sie ihre Kraft wiedergewinnen. Und dann war da noch das Rätsel um ihren Vater, das bis heute nicht gelöst war. Das Kind hatte die Wahrheit seiner furchtbaren Existenz nicht erkennen können, die Frau dann aber schon. Und deshalb musste sie herausfinden, was aus ihm geworden war. Falls auch nur die kleinste Chance bestand, dass er noch lebte, musste sie ihn finden und befreien.
»Lara?« Nicolas beugte sich über sie und strich ihr sanft das Haar aus dem Gesicht. »Verstehst du, was ich sagen will?«
Sie zwang sich, die Augen zu öffnen und seinen Blick zu erwidern. Es hieß jetzt oder nie, wenn sie herausfinden wollte, ob er sich geändert hatte. Mühsam setzte sie sich neben ihm auf, und sofort war er mit seinen starken Armen da, um Luft und Kissen um sie aufzuschichten, bis er spürte, dass sie bequem saß.
Lara zwang sich, es laut zu sagen, und schaute ihm dabei prüfend in die Augen. »Du willst mir Blut geben.«
Er wandte den Blick nicht ab und blieb auch fest mit ihrem Geist verschmolzen. »Ich muss dir Blut geben«, berichtigte er sie und erlaubte ihr, die Wahrheit zu sehen und seinen Hunger nach ihr zu spüren, sein Verlangen nach ihrem Geschmack und dem aufregenden Gefühl, ihr ganz nahe zu sein und das unglaubliche Einswerden zwischen Seelengefährten zu erfahren. Mehr als seinen persönlichen Hunger spürte Lara jedoch sein starkes Bedürfnis, sie wieder gesund zu machen.
Sie befeuchtete ihre Lippen. »Ich muss in die Eishöhle zurück«, entfuhr es ihr. »Das ist der Grund, warum ich überhaupt hierhergekommen bin. Ich muss dorthin zurück, nicht du. Nicht die anderen Karpatianer, sondern ich. Meine Tanten haben mich am Leben erhalten – nein, sie haben mehr als das getan. Sie
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