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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kirche mehr von innen gesehen, aber er erkannte ein Ritual, wenn er es sah, und seine Wiegeprozedur hatte fast die Form eines Kniefalls. Sieh her, Gott, ich mache es jedesmal genau gleich, also halte diesen jungen Anwalt mit Aufstiegschancen gesund, bewahre ihn vor einem Herzinfarkt oder Herzschlag, der ihn, wie jede Versicherungsstatistik in der Welt besagt, im Alter von siebenundvierzig erwarten wird. Wir bitten dich im Namen des Cholesterins und der vielfach gesättigten Fettsäuren. Amen.
    Das Ritual beginnt im Schlafzimmer. Kleider ausziehen.
    Den dunkelgrünen Frotteebademantel überziehen. Die schmutzige Wäsche in den Wäscheschacht werfen. Wenn man den Anzug nur einen oder zwei Tage getragen hat und er keine sichtbaren Flecken aufweist, hängt man ihn ordentlich in den Schrank zurück.
    Den Flur bis zum Badezimmer hinuntergehen. Das Bad mit Achtung, Ehrfurcht, Zögern betreten. Dies ist der Beichtstuhl, in dem man sich seinem Gewicht und demzufolge auch seinem Schicksal stellen muß. Den Bademantel abstreifen. Ihn auf den Haken neben der Dusche hängen.
    Die Blase entleeren. Wenn eine Darmentleerung möglich erscheint - auch bei der geringsten Möglichkeit –, sein Glück versuchen. Er hatte überhaupt keine Vorstellung davon, wieviel so eine Darmentleerung wog, aber das Prinzip hatte eine unerschütterliche Logik: Soviel Ballast über Bord.werfen, wie's nur geht.
    Heidi hatte ihn bei diesem Ritual beobachtet und hinterher sarkastisch gefragt, ob sie ihm zum nächsten Geburtstag einen Gänsekiel schenken sollte. Damit könne er sich dann im Hals kitzeln und sich ein-bis zweimal übergeben, bevor er sich wog. Er hatte sie gebeten, nicht so vorlaut zu sein... aber später hatte er im Bett gelegen und tatsächlich darüber nachgedacht, daß dieser Vorschlag eine gewisse Anziehungskraft besaß.
    Am Mittwochmorgen warf Billy sein Ritual zum erstenmal seit Jahren über Bord. Am Mittwochmorgen wurde Billy Halleck zum Häretiker. Vielleicht auch noch etwas Extremeres, denn er stellte seine gesamte Prozedur auf den Kopf wie ein Teufelsanbeter, der eine religiöse Zeremonie absichtlich verdreht, indem er die Kreuze verkehrt herum aufhängt und die Gebete rückwärts spricht.
    Er zog sich an, füllte seine Taschen mit sämtlichem Kleingeld, das er finden konnte (und mit seinem Schweizer Taschenmesser), stieg in seine klobigsten, schwersten Schuhe und aß ein gigantisches Frühstück, wobei er seine drückende Blase heroisch ignorierte. Er verschlang zwei Spiegeleier, vier Scheiben gebratenen Speck, Toast und zwei Hörnchen. Dazu trank er Orangensaft und eine Tasse Kaffee (drei Stückchen Zucker).
    Mit diesem gesamten im Magen herumschwappenden Zeug machte er sich grimmig auf den Weg ins Badezimmer.
    Er blieb einen Augenblick stehen und betrachtete die Waage.
    Ihr Anblick war schon früher keine Freude gewesen, jetzt war er scheußlich.
    Er stählte sich innerlich und stieg hinauf.
     
    Das kann doch nicht stimmen! Sein Herz raste. Verdammt noch mal, nein! Da muß etwas verdammt schieflaufen! Etwas...
    »Aufhören!« flüsterte Halleck heiser. Er wich vor der Waage zurück wie jemand vor einem Hund, der möglicherweise gleich zubeißen wird. Er legte seinen Handrücken an die Lippen und rieb ihn langsam hin und her.
    »Billy?« rief Heidi die Treppe herauf.
    Halleck wandte sich nach links. Aus dem Spiegel starrte ihm sein weißes Gesicht entgegen. Er hatte jetzt dunkelrote Flecken unter den Augen, die er noch nie gesehen hatte, und die Falten auf seiner Stirn wirkten viel tiefer.
    Krebs, dachte er wieder und vermischte das Wort mit dem, das er den alten Zigeuner wieder sagen hörte.
    »Billy? Bist du da oben?«
    Klar, Krebs. Wetten, daß es das ist? Er hat mich irgendwie verflucht. Diese alte Dame war seine Frau... oder seine Schwester vielleicht... und er hat mich verflucht. Ob das möglich ist? Kann es so etwas geben? Könnte es. möglich sein, daß der Krebs gerade meine Eingeweide zerfrißt, mich von innen her auffrißt, genauso wie seine Nase...?
    Er stieß einen kleinen, entsetzten Schrei aus. Das Gesicht des Mannes im Spiegel war krank vor Angst. Es war das Gesicht eines hageren Invaliden. In diesem Augenblick war Halleck fest davon überzeugt: Er hatte Krebs, er war davon zerfressen.
    »Bil-liie!«
    »Ja, hier bin ich.« Seine Stimme klang ruhig. Fast.
    »Gott, ich rufe dich schon eine Ewigkeit!«
    »Entschuldige.« Komm ja nicht rauf, Heidi. Du darfst mich nicht so sehen, sonst wirst du mich noch vor dem

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