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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ordnung?
    Sind Linda und Heidi gut versorgt? Als verhältnismäßig junger Mann denkt man nie daran, daß einem das passieren könne, aber es ist nun mal so. Es kann einem passieren.
    Mit der ruhigen Stimme, mit der ein Mann wesentliche Informationen weitergibt, fragte Houston ihn: »Wie viele Sargträger braucht man, um einen Neger aus Harlem zu beerdigen?«
    Billy schüttelte den Kopf und täuschte ein Lächeln vor.
    »Sechs«, sagte Houston. »Vier, um den Sarg zu tragen, und zwei für sein Radio.«
    Er lachte, und Billy tat so, als lachte er auch. Vor seinem inneren Auge sah er deutlich den Zigeuner vor sich, der draußen vor dem Gerichtsgebäude auf ihn gewartet hatte.
    Hinter ihm, am Bordstein, hatte ein großer, alter, zum Wohnwagen umgebauter Laster im Parkverbot gestanden.
    Die Wand des Aufbaus war mit seltsamen Zeichnungen bemalt, die sich um ein zentrales Bild rankten: eine nicht sehr gute Wiedergabe eines knienden Einhorns mit geneigtem Kopf. Vor ihm stand eine Zigeunerin mit einer Blumengirlande in den Händen. Der alte Mann trug eine grüngewebte Weste mit Knöpfen aus Silbermünzen. Als Billy jetzt beobachtete, wie Houston über seinen Witz lachte, wie der auf dem Hemd aufgedruckte Alligator an seiner Brust auf und ab sprang, dachte er: Du kannst dich ja an viel mehr Einzelheiten von diesem Zigeuner erinnern, als du angenommen hattest. Du dachtest, du könntest dich nur an seine Nase erinnern, aber das stimmt ja gar nicht. Du erinnerst dich an fast jede verdammte Kleinigkeit.
    Kinder. Im Führerhaus des alten Lastwagens hatten Kinder gesessen und ihn mit ihren hohlen braunen Augen angesehen, Augen, die fast schwarz waren. »Dünner«, hatte der alte Mann zu ihm gesagt, und trotz seiner hornigen Haut war sein Streicheln fast so zärtlich gewesen wie das eines Liebhabers.
    Ein Delaware-Nummernschild, dachte Billy plötzlich. Sein Wagen hatte ein Delaware-Nummernschild. Und so einen Aufkleber, irgendwas über ...
    Billy hatte eine Gänsehaut auf den Armen und glaubte einen Augenblick lang, schreien zu müssen, so laut zu schreien, wie eine Frau, die er an diesem Pool hatte kreischen hören, weil sie glaubte, daß ihr Kind am Ertrinken sei.
    Billy mußte daran denken, wie sie die Zigeuner das erstemal gesehen hatten. Es war an dem Tag gewesen, an dem sie nach Fairview gekommen waren.
    Sie hatten am Rande des Fairview-Stadtparks ihre Wagen abgestellt, und eine Horde Kinder war gleich zum Spielen auf die große Wiese gerannt. Die Zigeunerfrauen standen herum und tratschten und behielten dabei die Kinder im Auge. Sie waren bunt gekleidet, aber nicht in alte Bauernlumpen, wie man es sich nach den Hollywoodproduktionen der dreißiger und vierziger Jahre vorstellte, sondern in farbenfrohe Sommerkleider. Einige der Frauen trugen wadenlange Leinenhosen, die jüngeren Jordache-oder Calvin-Klein-Jeans. Sie sahen intelligent aus, vital und irgendwie gefährlich.
    Ein junger Mann sprang aus einem VW-Minibus und fing mit einigen übergroßen Kegeln zu jonglieren an. JEDER BRAUCHT ETWAS, WORAN ER GLAUBEN KANN stand auf Seinem T-Shirt geschrieben, UND ICH GLAUBE, ICH BRAUCHE JETZT NOCH EIN
    BIER. Unter seinem T-Shirt spielten die Muskeln, und auf seiner Brust hüpfte ein riesiges Kruzifix auf und ab. Wie von einem Magneten angezogen rannten die Fairview-Kinder auf ihn zu.
    Sie schrien aufgeregt durcheinander. Fairview-Mütter scheuchten ihre Kinder fort. Notfalls trugen sie sie. Andere waren nicht so schnell. Die älteren Stadtkinder näherten sich vorsichtig den Zigeunerkindern, die ihr Spiel unterbrachen und sie beobachteten. Städter, sagten ihre dunklen Augen.
    Wir sehen euch Stadtkinder überall, wohin wir kommen.
    Wir kennen eure Augen und eure Haarschnitte; wir wissen, wie eure Zahnspangen in der Sonne blinken. Wir wissen nicht, wo wir morgen sein werden, aber wir wissen immer, wo ihr seid. Langweilen euch diese ewig gleichen Orte und ewig gleichen Gesichter nicht?
    Wir finden sie langweilig. Wir glauben, aus diesem Grund haßt ihr uns auch so.
    Billy, Heidi und Linda Halleck waren an jenem Tag dort gewesen, zwei Tage, bevor Halleck weniger als eine Viertelmeile von dem Ort entfernt die alte Zigeunerin getötet hatte.
    Sie hatten ein Picknick gemacht und auf die Band gewartet, die das erste Open-Air-Frühjahrskonzert eröffnen sollte. Die meisten der auf dem Rasen verstreuten Leute waren aus demselben Grund in den Park gekommen, was die Zigeuner zweifellos wußten.
    Linda war aufgestanden und hatte sich versonnen

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