Fluch, Der: Roman
Zwölfuhrläuten in diese beschissene Mayo-Klinik stecken. Bleib da unten, wo du hingehörst. Bitte.
»Du wirst doch nicht vergessen, den Termin mit Dr. Houston abzumachen, nicht wahr?«
»Nein«, rief er. »Ich werde es heute nachmittag tun.«
»Danke, Liebling«, rief sie leise herauf und zog sich Gott sei Dank wieder zurück.
Halleck pinkelte und wusch sich Gesicht und Hände. Als er das Gefühl hatte, daß er – mehr oder weniger - wieder wie er selbst aussah, ging er die Treppe hinunter. Er versuchte zu pfeifen.
Er hatte noch nie in seinem Leben soviel Angst gehabt.
6. Kapitel: 217
»Wieviel Gewicht?« fragte Dr. Houston. Halleck, entschlossen, nun, da er dem Mann direkt gegenüber saß, ehrlich zu sein, berichtete, daß er innerhalb von drei Wochen knapp dreißig Pfund abgenommen hätte. »Donnenvetter!« sagte Houston.
»Heidi macht sich ein wenig Sorgen. Sie wissen ja, wie Frauen...«
»Sie hat verdammt recht, sich Sorgen zu machen«, erwiderte Houston.
Michael Houston war der Prototyp eines Bewohners von Fairview: der gutaussehende Doktor mit weißem Haar und Malibu-Sonnenbräune. Wenn man ihn so an einem der sonnenbeschirmten Tische sitzen sah, die die äußere Bar des Country Clubs umsäumten, wirkte er wie eine jüngere Version von Marcus Welby, Doktor der Medizin. Im Augenblick saßen Halleck und er in dieser Bar am Swimmingpool, die auch das Wasserloch genannt wurde. Houston hatte eine rote Golfhose an, die von einem glänzend weißen Gürtel gehalten wurde. An den Füßen trug er weiße Golfschuhe. Sein Hemd war von Lacoste, die Uhr eine Rolex. Er trank eine pina colada.
Einer seiner Standardwitze war es, dieses Getränk als ›Penis Colada‹ zu bezeichnen. Seine Frau und er hatten zwei unverschämt hübsche Mädchen und wohnten in einer der größeren Villen am Lantern Drive, nur einen Sprung vom Country Club entfernt. Wenn Jenny Houston betrunken war, pflegte sie damit anzugeben, bedeutete es doch, daß das Haus weit über hundertfünfzigtausend Dollar gekostet haben mußte. Houston fuhr einen viertürigen braunen Mercedes, sie einen Cadillac Cimarron, der aussah wie ein Rolls-Royce mit Hämorrhoiden. Ihre Kinder gingen auf eine Privatschule in Westport. Laut Fairview-Klatsch – der der Wahrheit meistens ziemlich nahe kam - hatten Michael und Jenny Houston sich auf einen modus vivendi geeinigt: Er war ein Frauenheld, sie fing schon nachmittags um drei mit ihren Whiskycocktails an. Eben eine typische Fairview-Familie, dachte Halleck, und plötzlich erfaßte ihn eine tiefe Müdigkeit und furchtbare Angst. Er kannte diese Leute zu gut oder glaubte es wenigstens, was auf dasselbe herauskam.
Er blickte auf seine glänzend weißen Schuhe hinunter: Wem willst du eigentlich was vormachen? Du gehörst schließlich auch dazu.
»Ich möchte Sie morgen in meiner Praxis sehen«, sagte Houston.
»Ich habe eine Verhandlung...«
»Vergessen Sie Ihre Verhandlung. Das hier ist wichtiger.
Inzwischen erzählen Sie mir mal, ob Sie irgendwelche Blutungen haben. Im Mund? Im Darm?«
»Nein.«
»Sind Ihnen irgendwelche Blutungen am Schädel aufgefallen, wenn Sie sich gekämmt haben?«
»Nein.«
»Wie steht es mit Kratzern, die nicht heilen wollen? Oder Schorf, der einfach abfällt und sich dann nachbildet?«
»Nichts.«
»Großartig«, schloß Houston. »Übrigens habe ich heute achtundvierzig Schläge gespielt. Wie rinden Sie das?«
»Ich finde, Sie werden wohl noch ein paar Jährchen brauchen, bis Sie sich zum Masters Turnier anmelden können«, antwortete Billy.
Houston lachte. Der Kellner trat an ihren Tisch. Houston bestellte sich noch eine ›Penis Colada‹ und Halleck ein Bier.
Fast hätte er dem Kellner ein Diätbier aufgetragen - die Macht der Gewohnheit -, aber er biß sich auf die Zunge. Er brauchte das Diätbier jetzt genausowenig wie ... wie Darmblutungen.
Houston beugte sich vor. Seine Augen waren trüb, und Halleck spürte diese Furcht wieder wie eine glatte, sehr dünne Stahlnadel, die mit vorsichtigen Stichen den Umfang seines Magens ausmaß. Ihm wurde elend bei dem Gefühl, daß etwas in seinem Leben sich verändert hatte, und zwar nicht zum Guten. Nein, ganz und gar nicht zum Guten. Er hatte jetzt unheimliche Angst. Die Rache des Zigeuners.
Houston hielt Billys Blick mit seinen trüben Augen fest, und Billy hörte ihn innerlich sagen: Deine Chancen für Krebs stehen fünf zu sechs, Billy. Ich brauch nicht mal eine Röntgenuntersuchung, um das zu sehen. Ist dein Testament in
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