Fluch, Der: Roman
das letzte Gespräch mit Houston hatte ihm deutlich gezeigt, wie weit die Dinge schon fortgeschritten waren und wie undenkbar es war, daß ihm auch nur ein Mensch glauben würde – weder jetzt noch irgendwann. Er hätte gern Kirk Penschley angerufen – ein fast nicht zu bezähmender Drang trieb ihn dazu, obwohl er genau wußte, daß Kirk ihn sofort anrufen würde, sobald eine der drei Agenturen, die die Firma unter Vertrag hatte, etwas herausgefunden hatte.
Statt dessen wählte er eine andere New Yorker Nummer, eine, für die er in seinem Adreßbuch bis auf die letzte Seite zurückblättern mußte, um sie zu finden. Seit den ersten Augenblicken dieser Geschichte war Richard Ginellis Name immer wieder in seinen Gedanken aufgetaucht und dann wieder verschwunden - jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ihn anzurufen.
Nur für alle Fälle.
»Three Brothers«, meldete sich eine Stimme am anderen Ende. »Unsere Spezialitäten sind heute abend Kalbfleisch in Marsalasauce und Fettuccine Alfredo nach Art des Hauses.«
»Mein Name ist William Halleck. Ich hätte gern mit Mr. Ginelli gesprochen, wenn er im Augenblick zu erreichen ist.«
Die Stimme schien einen Moment zu zögern und wiederholte dann: »Halleck?«
»Ja.«
Der Hörer wurde hingelegt. Billy hörte in weiter Ferne Töpfe und Pfannen klappern. Jemand fluchte auf italienisch. Jemand anderer lachte. Wie alles in letzter Zeit drangen auch diese Geräusche wie aus weiter Ferne zu ihm.
Schließlich wurde der Hörer wieder aufgenommen.
»William!« Wie so oft mußte Billy denken, daß Ginelli der einzige Mensch auf dieser Welt war, der ihn William nannte.
»Wie geht es dir, paisan?«
»Ich habe abgenommen.«
»Na, das ist ja großartig«, sagte Ginelli. »Du warst zu dick, William. Das muß ich dir schon mal sagen, viel zu dick. Wieviel hast du abgenommen?«
»Zwanzig Pfund.«
»He! Gratuliere! Dein Herz wird es dir danken. Ganz schön hart, soviel abzunehmen, nicht wahr? Brauchst mir gar nichts zu erzählen, ich kenne das. Diese miesen Kalorien klammern sich ganz gemein fest. Bei Kerlen wie dir hängen sie irgendwann mal vorn über den Gürtel. Bei Südländern wie mir reißt einem eines Tages der Hosenboden auf, wenn man sich nach vorn beugt, um die Schuhe zuzuschnüren.«
»Eigentlich war's gar nicht so schlimm.«
»Auch gut. Du kommst zu uns, zu den Three Brothers, William. Ich werde dir mein ganz persönliches Spezialgericht kochen. Neapolitanisches Hühnchen. Dadurch wirst du alles Gewicht, das du verloren hast, bei einer Mahlzeit wieder zunehmen.«
»Könnte gut sein, daß ich mal darauf zurückkomme«, sagte Halleck mit dem Anflug eines Lächelns. Er betrachtete sich im Spiegel an seiner Bürowand, und plötzlich kam es ihm so vor, als zeigte er beim Lächeln zu viele Zähne, als säßen diese Zähne viel zu weit vorne. Das Lächeln verschwand sofort.
»Ja, gut, ich meine es nämlich ernst. Du fehlst mir, William. Wir haben uns zu lange nicht gesehen. Und das Leben ist kurz, paisan. Ich meine, es ist kurz, hab ich recht?«
»Ja, ist wohl so.«
Ginellis Stimme wurde eine Spur tiefer. »Ich habe gehört, daß du da oben in Connecticut Schwierigkeiten gehabt hast.« Er betonte Connecticut so, als wäre es ein gottverlassener Ort irgendwo in Grönland. »Hat mir sehr leid getan.«
»Wie hast du das herausgefunden?« fragte Billy verblüfft.
Soweit er wußte, hatte nur eine knappe, beiläufige Meldung über den Unfall im Fairview Reporter gestanden, ohne Namensnennung. Die New Yorker Zeitungen hatten jedenfalls nichts davon berichtet.
»Ich halte eben meine Ohren offen«, antwortete Ginelli.
Denn die Ohren offenzuhalten ist das, worauf es wirklich ankommt, dachte Halleck und fröstelte.
»Genau damit habe ich im Augenblick Probleme.« Er wählte seine Worte ganz vorsichtig. »Sie sind ... es sind keine Schwierigkeiten mit dem Gesetz ... diese Frau – weißt du von dieser Frau?«
»Ja. Ich hab' gehört, sie soll eine Zigeunerin gewesen sein.«
»Ja, stimmt. Sie hatte einen Mann. Er hat ... er bereitet mir einige Probleme.«
»Wie heißt er?«
»Lemke, glaube ich. Ich will versuchen, allein damit fertig zu werden, aber ich dachte ... vielleicht könnte ich...«
»Klar. Sicher. Jederzeit. Ruf mich an. Vielleicht kann ich was für dich tun. Vielleicht auch nicht. Vielleicht entscheide ich auch, daß ich dir, überhaupt nicht helfen möchte. Ich meine, Freunde sind eben Freunde, und Geschäft bleibt nun mal Geschäft. Du verstehst doch, wie ich
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