Fluch des Magiers
durchritt. Sie hörte sogar einige Hochrufe, doch meistens verbeugten sich die Leute nur. Nur ein paar einzelne Kinder stießen bei ihrem Anblick Rufe der Verwunderung aus und starrten Borlon beinahe ehrfürchtig an. Dem hünenhaften Bor’een reichten die Einheimischen gerade mal bis zur Brust, und auch Laisa war um einiges größer.
Die Straße, auf der sie schritten, führte schnurgerade auf den zentralen Platz zu, um den sich der Tempel, der Königspalast, ein Magierturm und andere wichtige Bauwerke gruppierten. Der Platz selbst besaß einen sechseckigen Grundriss und maß etwa sechzig Schritt im Durchmesser. Weiße Steinplatten bedeckten den Boden, und in der Mitte erhob sich das Standbild eines Reiters auf einem sechseckigen Podest. Eigenartigerweise waren sechs Platten aus blauem Marmor in den Sockel eingelassen und eine Inschrift in blauen Lettern angebracht worden. Sie bestand nur aus zwei Worten: Der Retter.
Tensei bemerkte Laisas Interesse an dem Denkmal und führte sie hin. Die Reiterfigur war übermannsgroß und zeigte einen Mann mit breiten Schultern und kantigem Gesicht, der eine fremdartige Tracht trug und auf einer knochig gebauten Stute saß.
»Dieses Standbild«, begann Tensei, »ist dem Mann gewidmet, ohne den es dieses Land nicht geben würde. In den Tagen der Großen Kriege lebten unsere Ahnen weit jenseits des Stromes an den Grenzen des einstigen Reiches Raleon. Doch die Macht der Eirun war im Schwinden, und die Heere des Schwarzen Landes stießen schneller vor, als alle es befürchtet hatten. Unsere tanfunischen Schwestern und Brüder wurden durch gelbe Eirun über den Strom gebracht, doch unserem Volk wurde der Fluchtweg von den schwarzen Heeren abgeschnitten. Sklaverei oder gar Tod drohten unseren erhabenen Ahnen. Da erschien auf einmal ein fremder Reiter bei ihnen. Seine magische Farbe war Blau, und doch versprach er, unser Volk zu retten. Da es die einzige Hoffnung war, die noch bestand, folgten ihm unsere Ahnen – und siehe da, er führte sie auf geheimen Pfaden bis zu dem letzten Stützpunkt, den unsere Seite drüben noch besaß. Von dort konnten die Unseren über den Strom setzen und waren in Sicherheit. Als sie sich später in diesem Land ansiedelten, schufen sie dieses Monument als Dank an ihren Retter und als Mahnmal, dass Edelmut und Güte auch jenseits des Großen Stromes zu finden ist.«
Tensei verstummte kurz und wies auf die kleine blaue Brosche. »Seitdem ist es auch Sitte in unserem Volk, zum Festgewand ein solches Schmuckstück zu tragen.«
»Ich bin beeindruckt«, murmelte Ysobel, »hier auf dieser Seite nach so vielen hundert Jahren noch echte Dankbarkeit zu erleben.« Es klang nicht einmal spöttisch.
Auch Laisa überkam ein eigenartiges Gefühl, als sie den Reiter betrachtete. Die Geschichte, die sie eben gehört hatte, zeigte ihr, dass es zu allen Zeiten Menschen gegeben hatte, die den kleinlichen Rahmen des Farbenhasses sprengen und durch mutige Taten Anerkennung auf der anderen Seite hatten erringen können.
☀ ☀ ☀
Das Aufsehen, das Laisa erregte, lockte viele Leute an. Unter ihnen befand sich ein Mann in der Kleidung eines weißen Malvenon mit langen, engen Hosen und einer Tunika, deren Säume eine hellgrüne Stickerei aufwiesen. Auch eine der drei Federn an seinem Barett war grün und sollte wohl anzeigen, dass er auch Ahnen dieser Farbe besaß.
Bei Laisas Anblick prallte er erschrocken zurück und verbarg sich hinter den Einheimischen. Da er fast um einen Kopf größer war als diese, musste er in die Knie gehen. Während er Laisa zusah, die gerade das Denkmal des blauen Retters betrachtete, wirbelten seine Gedanken in einem wirren Tanz. Konnte das die gesuchte Katzenfrau sein?, fragte er sich und bedauerte, keinen Farberkennungsstein bei sich zu tragen. Doch ein blauer Katzenmensch würde auf dieser Seite nicht so offen auftreten. Außerdem war der kleine Kater bei ihr und jener borainische Unschlacht, die ihm als Begleiter der Katzenfrau genannt worden waren.
Um sicherzugehen, wandte der Mann sich an einen jungen Priester, der eben ein paar Schritte zurückgetreten war, damit auch andere sich Laisa nähern konnten.
»Verzeiht, ehrwürdiger Herr, aber könnt Ihr mir sagen, wer diese Person dort ist? Ich bin fremd hier und muss sagen, ich wundere mich, eine Katzenfrau Ilynas hier in Edania zu sehen.«
Der Priester schüttelte lächelnd den Kopf. »Beruhige dich, mein Freund. Das ist mitnichten ein Katzenmensch der blauen
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