Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
eindrucksvolle Silhouette des schneebedeckten Taranaki, den die Pakeha Mount Egmont nannten; ein einzeln aus dem grünen Hügelland aufragender Vulkan von zweitausendfünfhundert Metern Höhe, über dem fast ständig eine dünne weiße Rauchwolke stand. Im Osten und damit in ihrer Marschrichtung, näher, aber niedriger, erhoben sich die von vielen Schluchten zerrissene, vielgipflige Bergmasse des Pirongia und die kleineren Kegelberge, die um ihn herumstanden wie Küken um eine Henne. Das waren die Berge, die ihren Weg markierten, an denen sie sich entlangtasten würden zum Taupo Lake.
    »Sie waren einmal verheiratet«, sagte von Tempsky unvermittelt.
    »Sir?« Gowers sah den Deutschen verständnislos an.
    »Kariori und Pirongia waren einmal ein Paar, sagen die Maori. Aber sie haben sich zerstritten und stehen deshalb heute getrennt. Die Kinder«, er wies auf die kleinen Kegelberge im Osten, »sind mit der Mutter gegangen.«
    »Schönes Bild«, murmelte Gowers uninteressiert und blickte wieder nach Süden, wo sein Ziel lag: ein einzelner Mann jenseits der Wildnis.
    »Die Sagen der Maori sind überhaupt sehr bildlich«, fuhr von Tempsky ungerührt fort. »Genau wie die der Griechen, da gibt es wirklich erstaunliche Ähnlichkeiten. Haben Sie Homer gelesen? Oder Ovid?«
    »Hab mal reingeschaut«, antwortete Gowers, immer noch unwillig, sich ein mythologisches Gespräch aufzwingen zu lassen.
    »Am Anfang waren Rangi, das ist der Himmel, und Papa, die Erde, so eng verbunden, dass kein Raum zwischen ihnen war. Lagen zu dicht aufeinander, wenn Sie verstehen.«
    »Soll vorkommen«, knurrte Gowers einsilbig.
    »So dicht, dass ihre Kinder, die Götter, kein Licht und keine Luft mehr bekamen.«
    »Tragisch.«
    »Also beratschlagten sie und beschlossen, ihre Eltern zu trennen. Nur Tawhiri-matea, der Gott des Windes und der Stürme, war dagegen. Die anderen muckten auf, stemmten sich mit den Füßen gegen die Erde, den Händen gegen den Himmel, aber sie schafften es nicht. Nur Tane-mahuta, der Gott der Wälder und des Landes, war stark genug, Himmel und Erde schließlich auseinanderzuschieben.«
    »Schön für ihn.«
    »Schön für uns, Mr. Williams, denn seither gibt es die Welt, wie wir sie kennen. Aber seitdem herrscht auch Krieg zwischen dem Wind und den Wäldern. Tawhiri-matea, der Sturmgott, ist
nämlich im Gegensatz zu seinen Geschwistern bei seinem Vater im Himmel geblieben, und unablässig peitscht er seitdem das Meer gegen das Land, reißt die Bäume aus und trägt den fruchtbaren Boden davon, wo immer er ihn erwischen kann. Nur die Seufzer der Erde und die Tränen Rangis, also Nebel und Tau, besänftigen ihn manchmal ein wenig.«
    Von Tempsky lächelte, als er bemerkte, dass Joseph B. Williams ihm jetzt überhaupt nicht mehr zuhörte.
    »He aorere kakika, he hautau e kore e kitea« , sagte er nach einer Weile.
    »Sir?«, fragte Gowers, als ihm klar wurde, dass diese Worte an ihn gerichtet waren.
    »Man kann die Wolken sehen, die am Himmel ziehen, aber nicht die Gedanken am Horizont des Geistes«, übersetzte von Tempsky.
    Auch der Investigator lächelte jetzt über die versponnene Figur, die er zweifellos im Moment abgab. Dann zeigte er nach Süden.
    »Entschuldigen Sie, Sir, aber ich muss einen Mann finden, der dort unten ist, irgendwo in Wanganui.«
    »Und wenn Sie ihn gefunden haben?«, fragte von Tempsky ernst.
    »Das ist es, worüber ich nachdenke.« Wieder verlor sich sein Blick in dem dünnen Schleier, der aus dem Taranaki und den düsteren Kämpfen im Innern der Erde aufstieg.
    »Nun«, sagte Manu-Rau nach einer Weile. »Nach Wanganui werden wir beide kommen. Es wird etwas länger dauern, aber finden werden Sie Ihren Mann jedenfalls.«
    Gowers sah seinen Vorgesetzten stirnrunzelnd an. Hatte er etwa daran gezweifelt?

82.
    Natürlich kannte er Deborah noch nicht, nach nur einem Vormittag  – aber doch gut genug, um die Veränderung wahrzunehmen, die mit ihr vorging, als gegen Mittag die Deep South in Sicht kam. Ihre Schultern strafften sich, sie hielt sich gerader, und die Distanz zwischen ihnen, die sich in den letzten Stunden so deutlich verringert hatte, wuchs schlagartig wieder zu einem unüberbrückbaren Abgrund.
    Und da war noch etwas. Es hatte mit Jason zu tun, der die Mittagswache hielt, aufgesprungen war, sobald er Deborah erkannt hatte, und entgegen seiner Gewohnheit geschäftig an Deck auf und ab ging, ohne sie aus den Augen zu lassen. Gowers spürte, dass seine Blicke ausschließlich auf das

Weitere Kostenlose Bücher