Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
besaß in ihrem Umland ausgedehnte Weizen-, Mais- und Kartoffelfelder, zwischen denen breite Fahrwege verliefen. In Rangiawhia gab es einen Gerichtshof, einen Kaufladen, eine Mühle und gleich zwei Kirchen: eine katholische und eine protestantische, deren letztere sogar mit bunten Glasfenstern geschmückt war.
Da der nächste Tag ein Sonntag war, legten sie zum ersten Mal eine vierundzwanzigstündige Rast ein, denn der Sonntag war ra tapu , was bedeutete, dass niemand arbeiten durfte und insbesondere auch das Reisen verboten war. Von Tempsky befahl seinen Männern, mit Ausnahme einer kleinen Lagerwache, zu der sich prompt John Gowers einteilen ließ, den Gottesdienst zu besuchen, um seine Friedfertigkeit unter Beweis zu stellen. So
kam es, dass die beiden kleinen Kirchen bis zum Bersten gefüllt waren und die Missionare beider Konfessionen noch lange von diesem glorreichen Tag sprachen.
Am Montag dehnte sich dieses Wohlwollen auch auf die einfache Bevölkerung aus, denn er begann mit einem regen Tauschhandel, bei dem die Pakeha auch die exorbitantesten Preise für Schweine, Kartoffeln, Obst und Weizenmehl anstandslos bezahlten. Die Schweine wurden sofort geschlachtet und eingesalzen, was erneut einige Zeit kostete und von Tempsky ein weiteres malerisches Motiv lieferte. Erst am Dienstag in aller Frühe zog die Truppe weiter, diesmal nach Süden, wo man nach der Überquerung des Mangahoe gegen Mittag auf den gut gangbaren Overland Mail Track stieß. Dieser Pfad würde sie auf direktem Weg nach Südosten und binnen einer knappen Woche an den Taupo Lake führen. Das gefährliche Kings Country lag hinter ihnen, den Weg in die Gebiete der nicht weniger Furcht einflößenden Bergstämme nahmen sie unter die Füße.
86.
Nach weniger als einem Meter stießen sie am äußersten Rand der von Gringoire bezeichneten Stelle auf mächtige, aber fast vollständig vermoderte Holzbohlen. Darunter lag eine Schicht aus Sand und Steinen, gefolgt von verrottetem Segeltuch, unter dem sich eine zweite Lage diesmal geteerter und darum etwas besser erhaltener Holzplanken befand. Ihr Scharren und Kratzen nahm auf diesem Grund einen anderen Ton an, der verriet, dass sich ein größerer Hohlraum darunter befinden musste, der sich in all den Jahren zumindest nicht vollständig mit Wasser und Schlamm gefüllt hatte.
Als die Erde so weit abgetragen war, dass er hinabsteigen konnte, schlug Gringoire mit der Axt die uralte Holzverschalung auf. Von allen Seiten und mit allen Händen wurden daraufhin die morschen Bohlen weggerissen, und neugierige Blicke richteten sich in einen
zwei Meter tiefen, etwa zehn Quadratmeter großen gemauerten Kellerraum. Die Wände hatten den Jahren standgehalten, aber das Grundwasser musste das Arsenal mehrfach überschwemmt haben und hatte jedes Mal eine Schicht von Sedimenten darin zurückgelassen. Ein durchdringender Modergeruch schlug ihnen entgegen, und das Einzige, was – halb versunken in Sand und Schlamm – zu ihnen hinaufstarrte, war die grünlich schimmernde Mündung einer Kanone, die aus einer von Fäulnis zerf ressenen Umhüllung von Segeltuch und Guttapercha hervorragte.
Gringoire riss das Tuch weg, das in seinen Händen vollständig zerfiel, und befahl Mr. Phineas, einige Bäume zu fällen und eine Hebekonstruktion zu errichten.
»Wozu?«, fragte Mr. Phineas enttäuscht. »Der Rost hat dieses Ding längst erledigt.«
Vor allem der seltsame grünliche Belag irgendeines namenlosen Schimmels, mit dem das gesamte alte Geschütz überzogen war, ekelte alle, aber Gringoire schlug mit der stumpfen Seite seiner Axt darauf ein – und die mehrere Zentimeter dicke Wachsschicht, die das Rohr vierzig Jahre lang zuverlässig vor Feuchtigkeit und Korrosion geschützt hatte, platzte ab wie eine Eierschale.
Obwohl er sich freute, seine alte Geliebte so völlig unversehrt und funktionstüchtig wiederzusehen, machte Gringoire sich nicht die Mühe, seinen Triumph zu zeigen, sondern ging daran, die auf die gleiche Weise hermetisch versiegelte Lafette und die Munitionskisten aus dem Sand zu graben. Selbst das Pulver war so trocken geblieben, dass es knisterte, als er eine kleine Probe zwischen den Fingern zerrieb. Nur ganz zuletzt zeigte Gringoire doch so etwas wie wilde Freude und lachte über das Erschrecken der kleinen Flüchtlingsgemeinde: als er Monbars’ alte Flagge entfaltete und der grinsende Totenschädel auf schwarzem Grund noch einmal im Wind der Karibik wehte.
Mehr als zweihundert Jahre früher
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