Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
grundsätzliches Problem war zudem, dass sie beide Te Kooti schon in seiner Jugend gekannt hatten; es ist schwer, an einen Propheten zu glauben, den man in kurzen Hosen und mit laufender Nase gesehen hat.
Te Warihi war sogar einmal Te Kootis Vormund gewesen und immer wieder mit seinem Neffen aneinandergeraten, der sich schon damals nicht unterordnen wollte. Ihm konnte er nichts vormachen! Mochte er Weiber und Kinder blenden mit seiner brennenden Hand, dem Phosphor und den dunklen Gesängen. Es gab unter den Whakarau sogar das Gerücht, dass Te Warihi ein Spion der Pakeha war, der Captain Thomas über die Vorgänge im Lager und die Aktivitäten seines Neffen auf dem Laufenden hielt.
Die Prophezeiungen Te Kootis waren nicht eingetroffen: Kein Schiff war gekommen, sie hatten auch keine Boote gebaut, und der Navigator, den der Prophet ihnen vorgeführt hatte – Sterne und Strömungen, die Wolken und den Wind kenne ich –, war zurück nach Owenga gegangen und spurlos von dieser Welt verschwunden. Die Whakarau wurden unruhig, ihre Sehnsucht, die kalte, grausame Insel zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren, wurde langsam, aber stetig größer. Noch steigerte diese Sehnsucht ihren Glauben an die Visionen Te Kootis, aber wehe dem Propheten, wenn die Sehnsucht den Glauben überstieg!
»Anfang Juli«, sagte Te Kooti in einer nächtlichen Versammlung Ende April, »wird die Regierung ein Schiff schicken, das uns alle nach Aotearoa bringt. Wenn nicht«, er richtete sich hoch auf, »wird Gott mir den Stab des Moses senden. Ich werde auf
das Wasser schlagen, das Wasser wird sich teilen, und wir werden auf trockenem Land in die Heimat gehen!«
Diese Verknüpfung eines biblischen Wunders mit einem konkreten Datum machte auf alle einen tiefen Eindruck – bis auf Te Warihi.
»Ich hoffe, es wird das Schiff sein, Neffe«, sagte er und lachte, »denn es sind, über Meer oder trockenen Boden, fünfhundert Meilen bis nach Aotearoa, und ich bin nicht mehr so gut zu Fuß.«
Der alte Mann hatte einige Lacher auf seiner Seite, und Te Kooti merkte sich ihre Namen, als er die Augen schloss und langsam den linken Arm hob. Zwei Finger zeigten auf Te Warihi.
»Ich sehe zwei Schiffe«, sagte der Prophet, und der Schweiß, der über sein Gesicht strömte, verriet die verzweifelte Kraft, mit der er sich in der Taha wairua festkrallte. »Ein kleineres und ein größeres Schiff in der Bucht von Waitangi. Die Wolken sinken tief auf das Meer herab. Nebel dringt in feinen Tropfen durch unsere Kleider. Wir zerschneiden die Taue. Das kleinere Schiff wird auf die Klippen geworfen und zerbricht. Der Nebel verdichtet sich zu einem schweren Regen. Unablässig strömender Regen, in dem das größere Schiff aufs Meer hinausfährt und uns alle mit fortnimmt.«
Er sprach in diesem Augenblick so überzeugend, dass in einer kleinen Pause sogar Te Warihi dieses Bild vor sich sah. Dann schüttelte sich der Alte wie ein nasser Hund.
»Dein Nebel macht meinen Kopf schwer, Neffe, und alle Gedanken darin. Wir werden«, er sah sich kurz entschlossen um, erblickte einen faustgroßen weißen Stein auf dem Boden und hob ihn auf, »wir werden diese Insel so wenig verlassen, wie wir diesen Stein essen können!«
Die Whakarau schauten jetzt verwirrt zwischen dem erhobenen Stein und Te Kootis ausgestrecktem Arm hin und her. Etwas stand bevor, und alle fühlten es. Die Kinder drückten sich verängstigt an ihre Mütter. Der Prophet öffnete wieder die Augen.
»Bring mir diesen Stein«, sagte er, und es klang wie eine Drohung.
Te Warihi zögerte kurz, zuckte dann verächtlich die Achseln und warf ihm den Stein zu. Te Kooti aber fing ihn auf, ohne dass man die Bewegung seiner Hand gesehen hätte.
»Wir werden also die Insel verlassen, wenn wir diesen Stein essen können«,wiederholte er, mit umgekehrten Vorzeichen, die Worte seines missgünstigen Onkels. »Nun«, er hielt den Stein dicht vor seinen Mund und sah ihn sich genau an. Dann blitzte etwas in seinen Augen: »Das ist nur eine Frage der Zubereitung!«
Er warf den Stein auf den Boden, und ehe einer der in schwer erträglicher Spannung dastehenden Gefangenen begriff, was er vorhatte, hatte er sich aus einem Winkel eine der eisernen Hacken geholt, die sie zur Feldarbeit brauchten, und fing an, mit wilden Schreien auf den großen Stein einzuschlagen. Binnen Sekunden hatten alle verstanden und feuerten ihn mit erhobenen Fäusten, lachend, schreiend und auch vor Freude weinend an.
Es war schwer. Er
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