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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Fischen, die sie im Waikaruru fingen, sowie die Ankündigung eines vollen Tages der Rast und Regeneration richteten auch die niedergedrückte Moral wieder auf.
    Von Tempsky malte den ganzen Tag: das Lager, die weite Kaingaroa-Ebene im Osten, hinter der sich die noch weitgehend unbekannte Te Whaiti Range erhob, und immer wieder den Taupo Lake mit seiner malerischen Begrenzung aus Kegelbergen und himmelhohen Vulkanen. Er ließ seine Sergeanten unter den Männern nach Freiwilligen suchen, die ihm »für den Vordergrund« Modell stehen würden, fand aber niemanden, als das Gerücht aufkam, es ginge dabei um ein Aktgemälde. In Wirklichkeit hatte von Tempsky an einen Eingeborenen gedacht, der, auf einem Felsen sitzend und das Kinn in die Hand gestützt, über die Wechselfälle des Lebens oder Vergleichbares nachdenken sollte. Die Tätowierungen wollte er später hinzufügen.
    Am späten Nachmittag pirschte er sich darum an John Gowers heran, der mit seiner Pfeife im Mund und Lord Byron auf den Knien seinen künstlerischen Vorstellungen am nächsten kam. Er hatte jedoch noch keine zwei Striche getan, als der Mann aufstand und sich demonstrativ auf einen Stein hinter der Staffelei setzte.
    »Ich könnte Ihnen das auch befehlen, Soldat«, sagte von Tempsky enttäuscht.
    »Ich könnte auch desertieren, Sir«, antwortete Gowers prompt.
    Der Deutsche lachte. »So schlecht bin ich auch wieder nicht!«
    Die implizite Aufforderung, etwas über seine Malkünste zu sagen, war so deutlich, dass es Gowers schwerfiel, sie zu ignorieren. Tatsächlich konnte er mit den Gemälden seines Vorgesetzten nicht allzu viel anfangen. Einzelne Dinge schienen ihm gut getroffen, aber insgesamt blieb ihm der Eindruck des Uneleganten, Schwerfälligen, Amateurhaften. Da ihm jedoch nähere Kenntnisse und auch ein wenig das Verständnis für die bildende
Kunst fehlten, erlaubte er sich nicht, ein so unqualifiziertes Urteil zu äußern.
    »Ich weiß ehrlich gesagt nicht«, meinte er vorsichtig, »warum die Leute immer noch malen, anstatt zu fotografieren.« Eine Kunst jenseits des Realismus konnte er sich offensichtlich nicht vorstellen, und zu seinem Glück ging es von Tempsky ähnlich, sodass eine grundsätzliche kunstkritische Debatte in Neuseeland wieder nicht in Gang kam.
    »Sie können doch das, was in Auge und Geist eines Künstlers vorgeht, nicht mit den chemischen Reaktionen auf einer Fotoplatte vergleichen«, entrüstete sich der einsame Musenjünger immerhin. »Malerei ist keine bloß reproduzierende Leistung, sondern eine Überhöhung der Realität!«
    Manchmal auch eine Erniedrigung, schoss es Gowers durch den Kopf, aber er biss sich gerade noch rechtzeitig auf die Zunge, als der Satz aus ihm herauswollte. Erst als von Tempsky fortfuhr, konnte er sich irgendwann nicht mehr beherrschen.
    »Ein Künstler muss vor allem das malen, was er nicht sieht«, behauptete der Deutsche kategorisch.
    »Nun, deshalb bin ich ja auch weggegangen, Sir«, erwiderte Gowers spöttisch.
    Wortlos warf der Maler einen seiner Pinsel nach dem uniformierten Momus, allerdings ohne ihn zu treffen.
    »Das nächste Mal nehme ich ein Messer«, drohte er.
    Gowers lachte. »Zeigen Sie mir lieber, was Sie meinen«, sagte er dann und hatte sich auf diese genial einfache Weise endgültig vom Gegenstand zum Publikum der künstlerischen Bemühungen gemacht.
    Von Tempsky schwitzte zunächst, weil er die kritischen Blicke seines Untergebenen bleischwer auf seiner Hand fühlte und genau wusste, dass er seinen eigenen Ansprüchen rein technisch nur selten gewachsen war. Aber dann nahm er die Herausforderung an, pfiff ganz einfach auf alles, was er über Malerei wusste oder zu wissen glaubte, und tat lange Zeit  – nichts.
    Von Tempsky fragte sich, was ihm dieser See, diese Berge, diese Landschaft sagte , und stellte sich vor, was der erste Maori, der bis hierher vorgedrungen war, bei diesem Anblick empfunden haben mochte. Um diesen Bezug herzustellen, setzte er zuerst eines der bis zu vier Fuß hohen geschnitzten Grabdenkmäler, an denen sie seit zwei Tagen vorübergekommen waren, »aus dem Gedächtnis« in den Vordergrund. Diese an ihrem Fuß meist nur roh behauenen Holzstatuen waren mit verrottenden Kleidern und Tüchern behängt, und ihre Gesichter wiesen, aufgrund der getreuen Nachahmung der tätowierten Gesichtslinien der Verstorbenen, so etwas wie menschliche Züge auf. Für einen Maori genügten allerdings diese Linien  – die den Stamm, die Familie und schließlich die

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