Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
schwere Fuß des Henkers in seinem Nacken, der ihn am Reden hinderte. Hören konnte er zu seiner Überraschung umso besser. Seiner fast schmerzhaft geschärften Aufmerksamkeit entging kein Rascheln, kein Raunen in der Menge der Gläubigen, und er hörte sogar den Wind in den großen dunklen Bäumen jenseits der Palisade.
»Dieser Mann«, sagte Te Kooti feierlich, »hat uns über das Meer geführt.«
Richtig, dachte Gowers bitter und: Trottel! Und: Auf dem Meer würde euer Prophet seinen Schwanz nicht finden, wenn er pinkeln geht! Aber er war nicht auf dem Meer.
»Wir haben diesen Mann geehrt, und ich habe ihm meine eigene Frau gegeben. Wir haben ihn zu unserem Bruder gemacht!«
Ja, gegen seinen Willen und ohne sein Wissen, dachte Gowers: Ihr habt ihn schanghait! 10
»Aber er hat über uns gelacht und unseren Glauben mit Füßen getreten.«
Wer tritt hier wen?, dachte Gowers, während er die knorrige Hornhaut an den Fußsohlen des Henkers im Nacken fühlte. Macht die Augen auf!
»Er will nicht zu uns gehören. Er will überhaupt nicht zu etwas oder jemandem gehören, nicht einmal zu Gott!« Die Ungeheuerlichkeit dieses Verbrechens ließ die Whakarau aufheulen, und selbst Gowers, der Delinquent, konnte nicht umhin, diese Formulierung irgendwie eindrucksvoll zu finden.
»Darum soll er nackt in die Wildnis gehen! Mögen alle Flüche des Lebens auf ihn fallen, mögen Todesängste ihn durch die Wälder treiben und Schlangen aufspringen in seinem Weg! Die Früchte der Erde sollen zu Asche werden in seinem Mund und klares Wasser sich in Blut verwandeln auf seinen Lippen!«
Die Gläubigen erzitterten unter diesem wundervollen Fluch, und Gowers, das Gesicht in den Staub getreten, schaffte es nicht, dem Propheten einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Denn für jemanden, der angeblich nur mit Gott sprach, hatte sich der Mann recht ungeniert bei Lord Byron bedient. Leider war dies nicht der Moment für philologische Spitzfindigkeiten.
Maaka Ritai zerrte ihn hoch und zerschnitt seine Fesseln. Andere, junge Männer, rissen ihm die Kleider vom Leib, die Stiefel von den Füßen, waren aber immerhin religiös genug, ihm die Hosen zu lassen. Te Kooti ließ die Sachen des Investigators holen und vor ihm ausbreiten.
»Wählen Sie, Mr. Gowers«, sagte er. »Wählen Sie einen Gegenstand, denn einen Gegenstand dürfen Sie mitnehmen.«
»Und alles Übrige nehmen Sie«, murmelte Gowers verächtlich.
»Gott wird über Sie richten«, erwiderte der Prophet bestimmt. »Dort draußen. Und schon Ihre Wahl wird ein Teil seines Urteils sein. Der Rest fällt denen zu, die es besser verwenden werden als Sie.«
Gowers war klar, dass damit vor allem sein Revolver gemeint war, und er ging davon aus, dass ihm die Munition vorenthalten
würde, wenn er ihn wählte. Sein Bündel war nie groß gewesen, aber als er jetzt die schäbigen Reste seines Lebens vor sich ausgebreitet sah, dachte er unwillkürlich, dass er es in der Welt nicht zu sonderlich viel gebracht hatte. Blechgeschirr, Feldflasche, sein eiserner Totschläger, die blaue Brille, eine alte Offiziersmütze, ein Bleistift, ein wenig Papier? Seine Vergangenheit nützte ihm nichts. Er überlegte, nur um des dramatischen Effekts willen, Byrons Cain zurückzuverlangen, aber er überlegte nur kurz. Was würde er brauchen? Kleider? Stiefel? Te Kooti würde es fertigbringen, ihm nur einen zu geben. Sein Kompass wäre ihm zweifellos nützlich in der Wildnis, aber es gab die Sterne, und so dicht waren die Wälder, so groß war diese Insel auch wieder nicht. Er würde immer irgendeinen Strand erreichen und das Meer finden, wie noch der kleinste, schäbigste Bach irgendwann zum Meer fand.
Der Prophet wartete gespannt auf die Wahl des verfemten Mannes und beglückwünschte sich insgeheim zu seiner Voraussicht, als es das Messer des Mörders war, das Gowers ergriff. Nun lag wahrhaftig alles in Gottes Hand. Das große Tor in der Palisade von Nga Tapa wurde knarrend geöffnet.
»Fort!«, sagte Te Kooti und deutete mit dem Arm auf den undurchdringlichen Wald jenseits des Gelobten Landes, das er zu schaffen versuchte mit allen Mitteln.
126.
Sie war fort. Am frühen Morgen, nur drei Tage nach ihrem ersten Kuss, hatte die Deep South die Flüchtlinge am Illinois-Ufer sicher an Land und in die Freiheit gebracht. Deborah war mit ihnen von Bord und in Gringoires Hütte gegangen, von wo aus die kleine Underground Railroad sie weiter nach Kanada bringen würde. Der wüste alte Pirat hatte Gowers beim
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