Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
vorgekommenen Ereignisse, die in den spannenden Berichten über die Fahrt der Deep South , die Schlacht von Barataria und den Weg durch die Sümpfe leider ein wenig untergingen. Später, als sie nackt in seinen Armen lag, wiederholte sie noch einmal die Geschichte von dem nächtlichen Einbrecher, den sie den städtischen Behörden übergeben hatte. Aber unglücklicherweise nahm John Lafflin diese Information auch jetzt nicht sonderlich ernst.
127.
Als John Gowers kurz vor Mitternacht das kleine Hotel aufsuchte, in dem er in St. Louis abzusteigen pflegte, überraschte ihn die Mitteilung des Empfangschefs – der auch Hausdiener, Koch, Portier, Zimmerkellner und Besitzer des Etablissements war –, dass am späten Nachmittag eine junge Dame ein Doppelzimmer auf den Namen Gowers angemietet hatte. John, dem nur eine junge Dame einfiel, die auf eine solche Idee kommen könnte, flog die windschiefe Treppe hinauf, indem er bis zu vier Stufen auf einmal nahm. Er war verwirrt und geschmeichelt über das eindeutige Angebot, das sie ihm damit machte. Gleichzeitig fragte er sich, wie Deborah in so kurzer Zeit über den Fluss gekommen sein konnte und woher sie überhaupt wusste, wo er wohnen würde. Hatte er das ihr gegenüber erwähnt? Er konnte sich nicht daran erinnern. Aber er konnte sich ohnehin nur an wenig von dem erinnern, was er zu ihr gesagt hatte.
Vor der Tür schloss er die Augen und atmete mehrmals tief ein und aus, ohne dadurch jedoch den heftigen Schlag seines Herzens beruhigen zu können. Ohne anzuklopfen, trat er ein – und war einigermaßen konsterniert, Dorothy Simpson auf dem Bett liegend vorzufinden; mit offenen Haaren und nur mit einem Nachthemd bekleidet. Das Mädchen war eingeschlafen, während sie auf ihn gewartet hatte, erwachte aber jetzt, setzte sich auf und zog sowohl ihre Beine als auch die dünne Bettdecke hoch.
»Guten Abend«, sagte sie und versuchte zu lächeln, aber ihre Stimme zitterte vor Auf regung, und ihr Gesicht wurde brandrot.
»Was tun Sie hier?«, fragte John Gowers, noch immer enttäuscht, verwirrt, aber auch schon eine Spur ärgerlich.
»Ich bin fortgelaufen«, sagte Dorothy, der man anmerkte, dass sie diese Worte in der großen Szene ihres Lebens mehrmals geprobt hatte, ohne dass sie ihr jetzt allerdings besonders gut gelangen. »Und ich gehe nie, nie wieder zurück!«
»Woher wissen Sie, dass ich in St. Louis bin?«
Diese Frage immerhin hatte sie vorausgesehen, wenn sie auch auf eine andere, empathischere Reaktion gehofft hatte: Dorothy, Liebste! Was um Himmels willen ist geschehen?! Oder etwas in der Art.
»Ich habe die Deep South im Hafen gesehen, und ich wusste ja …«
Dass Sie ihr Lotse sind, sollte der Satz lauten. Aber John durchschnitt ihn mit einem kühlen: »Vorher oder nachher?«
»Was?« Diese Frage war in dem von ihr geplanten oder zumindest erhofften Szenario nicht nur nicht vorgesehen, sie verstand auch nicht, was er damit sagen wollte.
»Sind Sie schon vorher zu Hause ausgerissen und haben heute zufällig die Deep South gesehen, oder haben Sie sie gesehen und sind danach fortgelaufen?«
»Danach«, antwortete sie kleinlaut, denn instinktiv spürte sie, dass ein so genau kalkulierter Ausbruch aus dem bürgerlichen Alltag der großen Tat viel von ihrer dramatischen Wucht nahm. »Aber ich gehe nie, nie wieder zurück!«, fügte sie ein wenig schmollend hinzu. Damit konnte die Szene eigentlich noch immer den erwünschten Verlauf nehmen: Dorothy, Liebste! Was um Himmels willen ist geschehen?!
»Dorothy«, sagte John Gowers, »Sie sind ein nettes Mädchen, aber Sie bringen mich in große Schwierigkeiten.«
Die Röte stieg ihr nun bis über die Augenbrauen. Sie brachte ihn in Schwierigkeiten? Wer hatte denn wen geküsst? Mehrmals? Auf den Mund? Wo war der herrlich aufregende Mann, der ihr angeboten hatte, sie mitzunehmen? In sein Zimmer? In sein Leben? Und warum fragte er nicht endlich, was Furchtbares vorgefallen war?
»Das Beste wird sein, wenn Sie sich anziehen und sofort wieder gehen«, sagte er. Da platzte das ganze Elend der Menschheit aus Dorothy Simpson heraus, Tränen, Tragik, Trauer. Ihre Mutter hatte ihr Tagebuch gefunden, die rosafarbenen, parfümierten Blätter, denen sie mit blassblauer Tinte all ihre Geheimnisse, Träume, ihre innersten Gefühle anvertraut hatte. Unter anderem eben die Sache mit John Gowers.
Als pflichtschuldige Herdhüterin hatte Dorothys Mutter ihrem Vater Mitteilung davon gemacht, und ihr Vater hatte sie
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