Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
gegen die Kälte zu schützen versuchte, immer wieder von jähen Regengüssen weggespült wurden, zweifelte er an all seinen Zielen und ging es plötzlich nur noch darum, am Leben zu bleiben. Das war schwer genug. Er kaute Baumrinde, um das Hungergefühl zu betäuben, hütete sich aber, sie hinunterzuschlucken, denn Durchfall oder Übelkeit hätten ihn nur noch schwächer und langsamer gemacht. Als er endlich den ungeheuren Wald hinter sich hatte, den Mount Tarawera und den Weg in die Bucht des Reichtums und der Fülle vor sich, glich er eher einem wilden Tier, einem Urzeitmenschen als einem Pakeha oder Maori.
In der Kaingaroa-Ebene fand er endlich die Nester bodenbrütender Vögel und verhinderte das Nachwachsen einer neuen Generation, indem er ihre Eier roh hinunterschlang und sie trotz seines Widerwillens auch bei sich behielt. Am sechsten Tag roch er Schwefelwasserstoff in der Luft und wusste, dass die Vulkanseen mit ihren Geysiren, Fumarolen und Solfataren jetzt nicht mehr weit sein konnten. Er bewegte sich inzwischen wie durch einen üblen Traum, und die überall der Erde entströmenden Gas- und Dampfausbrüche vermittelten ihm das intensive Gefühl, nicht mehr auf einer von Menschen bewohnten Welt zu sein. Seine Füße schmerzten, waren blutig und schartig, aber dennoch erlag er nicht der Versuchung, sich in einer der zahllosen Puias, der heißen Quellen, zu erholen und zu säubern, denn er wusste, dass das seinen Körper nur weich und verletzlicher machen würde.
Das Land war von einer unwirklichen Schönheit. Blaue, grüne, türkisfarbene Kraterseen lagen auf seinem Weg, gelbe Schwefelablagerungen und weite,weiße Sinterterrassen von Kieselerde glänzten selbst unter der matten Wintersonne. Aber alles, was er erreichen wollte, war das kleine Kreuz, das auf Petermanns Karte eine Missions- und Wetterstation mitten in diesem alten Vulkangebiet bezeichnet hatte und an das er sich deutlich erinnerte. An der Ostseite des großen Sees Tarawera fand er schließlich einen Pfad, den ersten seit einer Woche, der ihn direkt zu einem niedrigen, aus Basaltblöcken errichteten Gebäude brachte, das indes von seinen Bewohnern verlassen war.
Auf einem Müllhaufen in der Nähe entdeckte er einige alte, aber noch nicht zu alte Konservendosen, deren Bodensatz er zusammenkratzte und in einer hundertfünfzehn Grad heißen Schlammquelle zu einer nahr-, wenn auch nicht allzu schmackhaften Mahlzeit verkochte. Die Missionare konnten noch nicht lange fort sein; vermutlich waren sie vor den schlimmen Gerüchten über Matawhero und die Turanga-Region an die Küste geflüchtet und bei der Mitführung ihrer Vorräte und sonstigen
Habe leider sehr gründlich gewesen. Der halb nackte Wanderer hatte auf einige alte Lumpen, vielleicht sogar ein Paar zerrissene Schuhe gehofft, fand aber nichts dergleichen, sondern nur ein kleines, leckendes Kanu ohne Paddel, das er noch zwei weitere Tage durch diesen Alptraum aus Stein, Schlamm und Vulkanasche schleppte.
Nördlich von Roto-rua und Roto-iti erreichte er endlich einen Fluss, den kleinen, aber reißenden Kaituna River, dessen Strömung er sich anvertraute. Einen Tag später stand er am Papamoa Beach und am Meer, ohne dass er auf seinem langen Weg bisher auch nur einen einzigen Menschen gesehen hatte. Er wusste, dass er nun der europäischen Zivilisation zwischen Okura und Tauranga Harbour gefährlich nahe war und man ihn zweifellos aufhalten würde, wenn man ihn entdeckte. Also schlief er bei Tag in den mit Farn bedeckten Hügeln und marschierte bei Nacht, wobei er seinen Weg nur unterbrach, um auf den vereinzelt liegenden Farmen Kartoffeln und rohes Gemüse zu stehlen. Einmal kam ihm dabei ein Hund in die Quere, der aber rasch den Schwanz einzog und dessen Fell sich sträubte, als er sah, wer oder was da vor ihm stand. Gowers lachte. Er musste fürchterlich aussehen.
Um nicht jede Bucht von Cooks County mühsam und langwierig zu umrunden, marschierte er über die meilenweiten, bei Ebbe trockenfallenden Schlammflächen zwischen dem Festland und der lang gestreckten Matakana-Insel und stieß dabei an einem kalten, nebligen Morgen auf das Unheimlichste, was ihm bisher auf all seinen Wanderungen begegnet war. Er hielt es zunächst für eine Gruppe länglicher grauer Felsen, vom Meer zu merkwürdig symmetrischen Formen geschliffen. Eine große Wolke von Seevögeln kreiste mit aufgeregtem Geschrei dicht darüber, stieß immer wieder darauf herab, und Gowers, noch rund dreihundert Meter entfernt,
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