Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
registrierte verwundert, dass die Möwen, die kreischend auf ihn anflogen, um ihn zu vertreiben, blutige Schnäbel hatten. Ungeachtet ihrer wütenden Angriffe
ging er weiter und stellte fest, dass sich die vermeintlichen Felsen noch schwach bewegten.
Eine Schule unerfahrener Pottwale war offenbar mit der Flut in die flache Bucht geschwommen und hatte dann bei rasch fallendem Wasser keinen Ausgang mehr aus der tödlichen Falle gefunden. Aufgelaufen im weichen Schlick hatten die riesigen Tiere panisch um sich geschlagen, gezappelt und dabei tiefe Furchen im Schlamm hinterlassen, in denen sie lagen wie in halb ausgehobenen Gräbern. Immer hilfloser auf dem sich verfestigenden Grund, wurden die Wale nun langsam von ihrem eigenen Körpergewicht erstickt. Schon lange, bevor die Sonne kam, hatten die Möwen diese reiche Beute entdeckt und begonnen, ihre ebenso großen wie wehrlosen Opfer bei lebendigem Leib aufzuf ressen.
Im Meer Könige, unumschränkte Beherrscher ihres Elements, die tausend Meter tief tauchen konnten, um den Kraken und andere Fabelwesen der Tiefsee zu jagen, waren die Pottwale jetzt nur noch Strandgut. Einige waren in ihrem aussichtslosen Kampf auf die Seite gerollt, und ihre Augen und zuckenden Seitenflossen boten den Schnäbeln der Vögel eine besonders gute Angriffsfläche, aber alle lebten noch, man sah es am verzweifelten, sinnlosen Zuschnappen ihrer bis zu drei Meter langen Unterkiefer.
Gowers hütete sich, in den Bereich dieser letzten Waffen der sterbenden Tiere zu kommen, mied auch die riesigen Schwanzflossen und brauchte etwa eine halbe Stunde, um eine schmale Rampe aufzuschütten, über die er auf den Rücken eines etwa vierzehn Meter langen Bullen gelangen konnte. So gut es mit Fagans Messer gehen wollte, schnitt er sich rings um das empfindliche Blasloch, wo die zähe Haut etwas weicher war, in die Speckschicht des noch atmenden Tiers. Bis zu den Schultern in der Wunde versinkend, die er dem jetzt Blut blasenden Wal schlug, schaffte er es schließlich, mehrere Streifen des weißen, feinfaserigen Specks herauszulösen.
Seine glitschige Beute zu transportieren erwies sich als beinahe noch schwieriger, als sie zu gewinnen, und schließlich zog er seine Hose aus, knotete die Beine zusammen und füllte sie wie einen Sack mit blutigen Speckstreifen, die sein Auskommen auf Tage hinaus sichern würden. Völlig nackt und durchgef roren im schneidenden Wind, den Tran schwitzenden Stoff auf den Rücken geladen, setzte er dann seinen Weg fort, um Katikati Heads, eine Landzunge, die der große August Petermann fälschlich zu einem Fluss erklärt hatte, noch vor der jetzt rasch einsetzenden Flut zu erreichen.
Teil fünf
129.
Immer, wenn Gabriel Beale in seiner Mietkutsche die fast eine halbe Meile lange Platanenallee zum säulengeschmückten Herrenhaus der großen Plantage entlangfuhr, fröstelte er ein wenig. Madame Bonneterre war noch keine zwei Jahre tot, aber trotzdem atmete alles auf diesem Weg, diesem riesigen Anwesen eine seltsame Schäbigkeit, eine Art von Verfall. Es kam ihm vor wie eine glanzvolle Theaterkulisse, die er allerdings schon von hinten gesehen hatte und an die er deshalb nicht glauben konnte.
Beale verstand nicht viel von Plantagenwirtschaft, aber dass dieser Betrieb auf dem absteigenden Ast war, sah selbst er. Brachliegende Flächen, die sich das wuchernde Unkraut binnen kürzester Zeit zurückgeholt hatte, Dächer und Ställe, die anscheinend nicht mehr repariert wurden, Sklaven, die immer ausgemergelter schienen. Natürlich wusste er längst nicht alles über die finanziellen Verhältnisse seines Auftraggebers, außer dass er sich seine Rache mehr kosten ließ, als vernünftig war.
Seit anderthalb Jahren war der Detektiv mit fast nichts anderem mehr beschäftigt als der Suche nach »Moses« und ihren Helfershelfern. Desmond Bonneterre schien besessen von dieser Frau und erlitt eine Art Tobsuchtsanfall, als Gabriel Beale ihm das vage Gerücht überbrachte, sie habe den Lotsen John Gowers, den Engländer, geheiratet. Man erzählte sich viele üble Geschichten über Bonneterre, aber dass er an diesem Tag eine Sklavin totgeprügelt hatte, entsprach der Wahrheit. Beale war dabei gewesen, als er das Mädchen kommen ließ, hatte spät in der Nacht ihre verzweifelten Schreie gehört und sie am nächsten Morgen nicht wiedergesehen.
Desmond Bonneterre kannte sich aus mit Schreien. Er betrieb die
Erforschung dieser menschlichen Lebensäußerung zeitweise mit fast wissenschaftlicher
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