Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
ihnen, ihre Waffen zu holen und den Haka zu tanzen, »denn dieser Tag wird ein böser Tag, und die Gefahr kriecht heran wie ein Nebel«.
Seine sechzig Krieger glaubten, ihre toten Ahnen, mit denen der Häuptling nun fast ständig in Kontakt stand, hätten Titokowaru den Tag des Angriffs verraten, aber noch zwei andere Umstände dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Wochen später entdeckte Takiora auf einem Höhenzug jenseits des Waingongoro einen riesigen Rata-Baum, aus dessen Wipfel geübte Augen alle Vorgänge in Camp Waihi beobachten konnten und dessen Äste verrieten, dass er schon häufig bestiegen worden war. Außerdem vollzog sich der Auszug der Patea Field Force nicht ganz so lautlos, wie ihre Kommandeure es vorgesehen hatten.
Ein Leutnant namens Albert Fookes stellte mitten im Abmarsch fest, dass er seinen Revolver vergessen hatte, und rannte in sein Zelt, um ihn zu holen. Da völlige Dunkelheit befohlen war, tastete er eine Weile ratlos hin und her und schaffte es dabei irgendwie, an den Abzugshahn zu kommen und sich ins Bein zu schießen. Diese bemerkenswerte Ungeschicklichkeit sollte ihm das Leben retten.
Die Gefahr kroch wahrhaftig heran. Die Patea Field Force hatte den Pfad verlassen, hatte auch keine Zeit damit vergeudet, einen neuen zu suchen, und bewegte sich nicht mehr wie eine Kampfeinheit auf geordnetem Vormarsch, sondern wie eine Armee von Ameisen durch das weglose Dickicht. Von Tempsky, der mit seinen Forest Ranger und Kawana Hunias Kupapa die Vorhut bildete, gab lediglich die Richtung vor, in die sich durch Schlingpflanzen und Unterholz ansonsten jeder Mann einzeln kämpfen musste. Sie verständigten sich mit Handzeichen und hatten nur
den Befehl erhalten, ihre Neben- und Vorderleute nicht aus den Augen zu verlieren.
So gab es zwar hin und wieder Stauungen, wenn sie auf wahrhaftig undurchdringliche Hindernisse stießen, aber es fand auch immer irgendwer irgendwo einen Durchschlupf in dem schweren Gelände, wenn sie dazu auch bisweilen hintereinander und dicht an den Boden gepresst auf Händen und Knien kriechen mussten. Dieses zermürbende Vorgehen erwies sich insofern als richtig, als Titokowarus Späher, durch den Schuss aufgeschreckt, den Aufbruch der Patea Field Force zwar gesehen, die Truppe aber tatsächlich bald aus den Augen verloren hatten. Man wusste, dass die Pakeha im Wald waren, aber man wusste nicht, wo sie waren.
Im Eulennest erwachten etwa zu diesem Zeitpunkt die Kinder, und die alten Frauen hatten alle Hände voll zu tun, ihnen den Befehl, den Titokowaru persönlich im Morgengrauen überbracht hatte, nämlich an diesem Tag unter keinen Umständen in den Wald zu gehen, verständlich zu machen. Es war den Kindern peinlich, ihre Notdurft in Sichtweite der Hütten und der anderen zu verrichten und sie auch noch unter den Augen der Frauen vergraben zu müssen wie Katzen.
Insbesondere der zehnjährige Omahura konnte es nicht erwarten, dass die Sonne höher stieg, denn er wollte an diesem Morgen, koste es, was es wolle, seinen Freund Hami, den behinderten neunjährigen Sohn des großen Wiremu Katene, besuchen. Man hatte den sehr liebenswerten, aber auch etwas lauten Epileptiker zusammen mit einem fieberkranken Mädchen in einer alten Hütte auf einer Lichtung auf halbem Weg nach Te Ngutu untergebracht, damit er mit seinen wirren Reden und Anfällen nicht die Nachtruhe der anderen störte. Betreut wurden die kranken Kinder dort lediglich von dem uralten Häuptling Paramena, der amüsiert gesagt hatte, dass er ohnehin nicht mehr viel Schlaf brauche.
Das Warten war entsetzlich. Tutange Waionui war noch in der Nacht mit einigen nur wenig älteren Kameraden zu »heiligen Kindern« gemacht worden, um die kommende Schlacht zu überleben. Tangamoko, die Zauberin des Stammes, hatte jedem von ihnen ein von ihr selbst angefertigtes Korowai um die Hüften gelegt, ein Kriegskleid, in das sie Zaubersprüche gewebt hatte, um seine Träger unverwundbar zu machen. So geschützt sollten die sechzehn-, siebzehnjährigen Jungen Kriegern wie Kawana Hunia, »Fighting Mac« oder dem gefürchteten Manu-Rau standhalten.
Jetzt saß Tutange seit vielen kalten Stunden in einem Schützenloch der ersten Linie und lauschte auf jedes Knacken und Rascheln im Wald von Ahipaia, bis ihm die Ohren vor Anspannung wehtaten. Das Loch war so klein, dass er darin knien musste, und immer wieder schliefen deshalb seine Beine ein. Er wollte sich gerade zum hundertsten Mal eine erträglichere Position suchen,
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