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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Werkzeugen Maschinen, aus Maschinen Fabriken und aus Fabriken eine Industrie. Die Handwerker, Heimwerker, häufig ganze Familien, die bislang auf eigene Rechnung und in ihren eigenen Häusern kleine Mengen Garn oder Tuch hergestellt hatten, wurden zu Arbeitskräften in der Textilindustrie. Die Männer schleppten die Baumwollballen heran, be- und entluden Transportfahrzeuge, warteten, reparierten die oft komplizierten Transmissionssysteme zwischen Wasserrad, Dampfmaschine und den riesigen Spinnapparaturen oder Webstühlen. Die Frauen überwachten den Produktionsablauf und lernten die schwierige Kunst, gerissene Fäden bei laufenden Maschinen wieder anzudrehen. Die Kinder  – je kleiner, je besser  – krochen in und unter die Maschinen, um sie zu reinigen und Baumwollreste aufzusammeln.
    Das war nichts Neues; jahrhundertelang hatten Familien auf ähnliche Weise zusammengearbeitet. Das war auch nichts Schlimmes, denn in den ersten zehn, zwanzig Jahren waren die Löhne gut, etwa das Dreifache des Existenzminimums für einen erwachsenen Mann, und die Familien erwirtschafteten in Zwölf- oder Sechzehnstundenschichten einen bescheidenen Wohlstand. Erst als die massenhafte Nachfrage fürs Erste befriedigt, der Markt gesättigt war, verfielen die Preise. Und mit den Preisen fielen die Löhne, denn Löhne, am Ende des Produktionsprozesses, waren von jeher das, woran ein Unternehmer am gefahrlosesten sparen zu können glaubte. Die Arbeiter wurden jetzt je nach Auftragslage angeheuert oder entlassen, aber selbst das war nichts Ungewöhnliches, sondern aus der Landwirtschaft mit ihrem saisonal bedingten Arbeitsaufkommen durchaus
bekannt. Allerdings war die Entwicklung der Märkte nicht so berechenbar wie die Jahreszeiten.
    Unbekannt und furchterregend waren vor allem die Ausmaße, die die Frage von Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung dadurch annahm. Es gab keine sozialen Sicherungssysteme, nur die rasch aufgezehrten Notgroschen, und anders als etwa jahrhundertelang bei den Landarbeitern und Lohnknechten konnte ein Mann, der im Winter entlassen wurde, keineswegs damit rechnen, im Sommer wieder Beschäftigung zu finden. Anders als in Handwerk, Vieh- und Landwirtschaft spielten auch persönliche Fähigkeiten, also die Arbeitsqualität oder gar persönliche Bindungen an den Lohnherrn, keinerlei Rolle mehr; dazu war die Arbeit zu unqualifiziert, waren die Fabriken zu groß geworden.
    Die existenzielle Verunsicherung, die diese Entwicklungen auslösten, kann kaum überschätzt werden. Hunderttausenden von Menschen wurde eine persönliche Lebensplanung nahezu unmöglich gemacht, denn sie waren Prozessen ausgeliefert, die nicht einmal die völlig verstanden, die von ihnen profitierten. Und zur Sorge um Lohn und Brot kam unterschwellig, aber nicht weniger bedrückend das Gefühl der eigenen Nutzlosigkeit, das Menschen so leicht zu Bestien machen kann. Schon die zweite Generation des entstandenen Proletariats war so zu einem Anhängsel der Maschinen geworden, nur mehr ein mobiles Element, das Arbeiten erledigte, die die Maschinen noch nicht selbst erledigen konnten.
    Und die Maschinen konnten vieles ... Wunderbares! Nur keine Baumwolle anbauen  – sodass auch am anderen Ende des Produktionsprozesses: seinem Anfang, ein erhebliches ökonomisches Problem entstand. Baumwolle war unter den entsprechenden klimatischen Bedingungen, etwa in den Südstaaten der USA, zwar leicht anzubauen, aber die ungeheuren Mengen, in denen sie aufgrund der Industrialisierung des Textilgewerbes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebraucht wurde, machten einen wirtschaftlichen Anbau auf der Basis von Lohnarbeit praktisch unmöglich. Denn alle Schritte im Produktionsablauf waren mechanisiert und automatisiert worden,
nur um die Baumwolle preiswert anzupflanzen, zum Wachsen zu bringen, zu ernten, hatte man noch keine geeigneten Maschinen erfunden, brauchte man Hände. Brauchte man Sklaven.
    Dass die jüngste, fortschrittlichste Nation der Erde, entstanden aus dem Freiheitswillen der Menschen, zu ihrem Aufstieg und Wohlstand die älteste und unmenschlichste Wirtschaftsform  – die Sklaverei  – benutzte, war im Grunde kein Anachronismus, keine gegenläufige Bewegung zu Fortschritt und Industrialisierung, sondern deren direkte ökonomische Folge.
    Entgegen der nach dem und durch den amerikanischen Bürgerkrieg populär, ja Allgemeingut gewordenen Propaganda der siegreichen Nordstaaten ging es den Sklaven im Süden der USA allerdings

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