Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
sogar seine Schuhe.
»Das sind die Zeichen, die ich erhalten und mir selbst gegeben habe, John Gowers«, sagte er, als der Amerikaner sich gerade fragte, was daraus werden sollte. »Mein Whakapapa.« Titokowaru
deutete auf die Tätowierungen an seinen Armen, Beinen und Hinterbacken.
»Dies«, fuhr er fort und legte die rechte Hand auf seine linke Schulter, während er sich umdrehte und Gowers seinen Rücken sehen ließ, »sind die Menschen, die ich liebte und die gestorben sind. Ihre Namen werden meinem Geist helfen, sie im Jenseits wiederzufinden.«
Gowers sah nur Linien, Kreise und Punkte auf dem linken Schulterblatt des hageren und dabei so kräftigen Mannes.
»Und dies«, sagte der Häuptling mit deutlich veränderter Stimme, als er die linke Hand auf seine rechte Schulter legte, »sind die Männer, die ich getötet habe und deren Geistern ich wieder begegnen möchte, um sie noch einmal zu töten!«
Der Investigator registrierte, dass die Zeichen auf der linken, der Herzseite, eine deutlich größere Fläche bedeckten als die wenigen dünnen Striche auf der rechten.
»Sie haben mehr geliebt als gehasst«, stellte er fest. Titokowaru nickte erstaunt, dann setzte er sich wieder nieder und schürte bedächtig das Feuer.
»Vielleicht ist dies das Beste, was man über mich sagen kann, John Gowers.«
Sein Status bei den Rebellen blieb ungeklärt in den beiden Monaten, die sie nach der Schlacht von Te Ngutu o te Manu durch die weglosen Wälder, die befreiten Ebenen zogen. Er war kein Gefangener, kein Gast, aber auch kein Verbündeter, obwohl er an der Befestigung von Moturoa mitarbeitete, Bäume fällte, Gräben aushob. Niemand redete viel mit ihm, weil keiner ihn einordnen konnte. Wiremu Katene jedenfalls schien ihn zu hassen, vielleicht, weil er selbst ein Überläufer war, dem man noch immer mit Misstrauen begegnete. Aber weil er ein Überläufer war, konnte er es nicht sagen.
John Gowers beneidete insgeheim jeden dieser Menschen darum, dass sie wussten, wofür sie kämpften. Er selbst kämpfte
nicht am Okotuku Hill, überbrachte aber Befehle, Berichte, Munition, Wasser und half, ihre Verwundeten zu bergen. Er konnte nicht auf Männer schießen, mit denen er gegessen, gelacht hatte, durch die Lavaebenen des Tongariro marschiert war. An den schauerlichen Ritualen des Sieges nahm er nicht teil, wanderte allein durch die Wälder, so oft, so weit und so lange, dass einige Männer befürchteten, er könne den Pakeha ihren Standort und ihre Pläne verraten, und den Häuptling baten, ihn doch noch töten zu dürfen. Titokowaru lehnte das ab.
Einige Tage nach Moturoa kam John Gowers dann zur Hütte des Häuptlings und bat ihn um Papier und Schreibzeug. Titokowaru riss eine leere Seite aus Manu-Raus Tagebuch, in dem er zu seiner Erbauung hin und wieder las. Der Investigator schrieb etwas nieder, wenige kurze Worte, aber in deutlichen Buchstaben. Dann suchte er den Tatauiermeister der Ngaruahine auf. Zu seiner Überraschung war es noch ein ganz junger Bursche, eigentlich noch ein Lehrling, der jetzt seinen bei Moturoa gefallenen Meister ersetzen musste.
»Du willst es?«, fragte er, wie er es nach den uralten Gesetzen seines Handwerks tun musste. Gowers nickte, zog sein Hemd aus und legte sich auf den Bauch. Der junge Mann sah sich noch einmal die Zeichen an, die er dem anderen ins Fleisch schlagen würde.
Jane Gowers, Deborah Williams, stand auf der linken Seite des Papiers. Desmond Bonneterre, Gabriel Beale, Henry Wirz, auf der anderen. John Gowers hatte länger gehasst als geliebt.
158.
Lemuel Willard war ein sehr mäßig begabter Heilkünstler, aber zu seiner Ehre muss gesagt werden, dass er sich dieser Tatsache stets bewusst war. Bar jeder medizinischen Eitelkeit hielt er es deshalb für das Vernünftigste, ernsthaft erkrankten Patienten nach Möglichkeit
aus dem Weg zu gehen und sich auf die kleineren, leichter erkennbaren Wehwehchen zu spezialisieren, die die Natur bereithielt. Beides gelang ihm auch einigermaßen, und zumindest war in und durch seine bisherige medizinische Praxis noch niemand ums Leben gekommen – was nicht jeder Arzt des 19. Jahrhunderts von sich sagen konnte.
In seiner Seele war er ein Dichter, ein Schöngeist, dem bereits in der Jugend die griechisch-römische Klassik über alles ging und dessen Geschick im Umgang mit Worten früh auffiel. Für den zweiten Sohn eines harten, sehr harten iroschottischen Pflanzers lag ein entsprechendes Studium natürlich außerhalb aller
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