Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
Labyrinths blieb sie dann plötzlich verschwunden, und der Investigator wusste, dass sie unter die Erde gegangen und das Versteck nahe war.
    So vorsichtig wie möglich schlich er bis zu dem Punkt, an dem er sie zuletzt gesehen hatte, und schloss dort die Augen, um zu hören und zu riechen. Aber er stand noch keine fünf Minuten so da, als eine helle, zitternde Mädchenstimme »Come all ye gallant poachers« anstimmte. Er ging der Stimme nach, bis er zwischen zwei Schuttkegeln eine dunkle Öffnung in der Erde sah, deren Ränder seltsam flackerten. Das musste eine Art Vorhang sein. Gowers überlegte, wie viele Gegner ihn dahinter maximal erwarten konnten, zog dabei aber bereits seine Jacke aus und streifte im Gehen den eisernen Totschläger über.

31.
    »Es gehört zu den Errungenschaften unserer großen Nation«, sagte der weißhaarige Redner mit einer pathetischen Geste, »dass ein Mann in einer Versammlung von Menschen, die sich einstimmig und leidenschaftlich für eine bestimmte Meinung aussprechen, dass ein einzelner Mann inmitten dieser Versammlung Gleichgesinnter aufstehen und sagen kann: Ich bin anderer Ansicht! Die Kaiser und Könige im alten Europa, die Päpste und ihre Inquisition würden einen solchen Mann hängen, und auch wir Amerikaner, geben wir’s nur zu, sind zumindest verärgert über den Mann!«
    Vereinzelt lockerte erleichtertes Gelächter über diesen ersten Scherz des Abends die allzu ernste Stimmung in der Versammlung der Literarischen Gesellschaft von St. Louis auf.
    »Aber dann«, fuhr der Redner fort, »erinnern wir uns zweifellos
daran, dass das Recht dieses einzelnen dummen Mannes, anderer Ansicht zu sein, eines der wichtigsten Rechte ist, für die unsere Väter und Großväter einst gekämpft und geblutet haben, und wir werden ihn ruhigen Herzens anhören, selbst wenn er Unsinn redet.«
    Auch die eifrigsten Abolitionisten schmunzelten leise und gefielen sich jetzt nicht mehr nur in ihrer Gerechtigkeit, sondern auch in ihrer Toleranz. Ihre Selbstgefälligkeit erhielt jedoch einen schweren Dämpfer, als der Redner mit ausgesuchter Höflichkeit hinzufügte: »Dieser Mann, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin heute Abend ich.«
    Es dauerte eine Weile, bis sie verstanden, was er damit gesagt und dass er ihre Wachsamkeit mit seinen schönen Worten nur eingelullt hatte. Zumindest das Ziel, nicht einfach niedergeschrien zu werden, hatte er allerdings erreicht und konnte mit großer Ruhe und Verbindlichkeit fortfahren.
    »Mein Name ist Lemuel Willard. Doktor Lemuel Willard, um genau zu sein, denn ich bin Doktor der Medizin und Ältester der ersten presbyterianischen Kirche von Baton Rouge. Ich bin seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet.«  – Vereinzelte Laute der Enttäuschung bei den Damen.  – »Meine Ehe wurde mit drei Töchtern und zwei Söhnen gesegnet. Ich besitze eine Baumwollplantage bei Indian Mound, zu der gegenwärtig hundertsiebenundachtzig Negersklaven gehören, darunter fünf schwangere Frauen  – meines Wissens  –, sodass sich mein Besitz an Sklaven in den nächsten Monaten noch vergrößern wird.«
    Ein deutliches Murren der Versammlung war die Antwort auf diese zuletzt leicht ironische Vorstellung, aber der geübte Rhetoriker schien seine Ironie jetzt sofort auf sich selbst anzuwenden, indem er sich langsam einmal um die eigene Achse drehte und dabei sagte: »Ich bin heute Abend nicht hier, um Ihnen zu zeigen, wie ein Sklaven haltender Unmensch aussieht  – wenngleich ich Sie bitten möchte, mich aufmerksam zu betrachten und mir alle Züge von Barbarei mitzuteilen, die Sie an mir feststellen können. Ich bin vielmehr in der aufrichtigen Absicht gekommen, mich zu Ihren Ansichten bekehren zu lassen  – falls sich herausstellen sollte, dass Ihre Argumente besser sind
als meine. Aber selbst wenn das nicht geschieht, beabsichtige ich keineswegs, Ihnen zu sagen, was und wie Sie denken sollen. Ich möchte lediglich das Recht in Anspruch nehmen, Ihnen zu sagen, was und wie ich denke.«
    Dieses Recht konnte man ihm nach so vielen wohlgesetzten, vernünftigen Worten natürlich kaum noch streitig machen, obwohl die hellsichtigeren Sklavereigegner mit Sorge sahen, dass sich da etwas zusammenbraute, was ihnen den bislang so gelungenen Abend verderben konnte.
    »Lassen Sie mich noch hinzufügen«, sagte Willard, wobei er diese Sorge mit aufrichtigen Zeichen der Devotion beschwichtigte, »dass ich, ganz gleich, wohin meine Worte mich tragen sollten, von der

Weitere Kostenlose Bücher