Fluch des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Kuss des Tigers 3: Roman (German Edition)
nächsten Saal blieb ich in Kishans Nähe, während wir gemeinsam die eingemeißelten Figuren an den Wänden betrachteten. Mir fiel das Bild einer Frau auf, die an einem Webstuhl saß, und ich fuhr das Steinrelief mit dem Finger nach. Zu ihren Füßen stand ihr Korb mit dem Garn, und einer der Fäden hing heraus. Neugierig folgte ich der dünnen Linie über mehrere Bilder.
Der Faden wand sich um den Knöchel eines Bauern, und dann spielte eine Katze mit dem Garn. Es schlängelte sich durch ein Weizenfeld, wo ich es verlor, und ich musste mehrere Bilder absuchen, bis ich es wiederfand. Der Faden fügte sich zu einem Schal, der um den Hals einer Frau gewickelt war, und verwob sich mit einem dicken Seil, das in Flammen stand. Er wurde zu einem Fischernetz, umrankte einen hohen Baum, stellte einem Affen ein Bein, wurde in der Kralle eines Vogels gehalten, und dann … hörte er einfach auf. Er endete in einer Ecke des Saals, und obwohl ich die angrenzende Wand genau absuchte, war von dem Garn keine Spur mehr zu sehen.
Ich strich mit dem Daumen über die eingemeißelte Linie, um die Oberflächenstruktur zu erfühlen. Der Faden war so dünn, dass mein Finger ihn kaum ertastete. Als ich die Ecke mit dem Ende des Garns erreichte, geschah etwas Sonderbares. Mein Daumen glühte rot – nur mein Daumen –, und als ich einen Schritt von der Wand zurücktrat, sah ich einen Schmetterling aus einer Spalte kriechen. Er begann hastig, mit den Flügeln zu schlagen, flog jedoch nicht los. Ich besah ihn mir genauer und erkannte, dass es überhaupt kein Schmetterling war, sondern eine große weiße Motte.
Sie war haarig, fast pelzig, mit großen schwarzen Augen und federartigen braunen Fühlern. Als sie mit den Flügeln schlug, geschah etwas mit der Wand.
Dünne weiße Linien schlossen sich nahtlos an den gemeißelten Faden an, dem ich mit dem Finger gefolgt war, und begannen zu glühen. Sie leuchteten so hell, ich musste die Augen zusammenkneifen. Als ich den Arm ausstreckte, um eine zu berühren, sprang das Licht von der Wand auf meine Hand über. Im selben Moment verpuffte die weiße Linie und schillerte nun in allen Farben des Regenbogens. Phets Hennazeichnung auf meiner Hand pulsierte in weißem Licht.
Ich drehte mich zu Kishan um, aber hinter mir war nichts als Dunkelheit. Ich konnte nicht sprechen, konnte nichts tun, als die Wand anzustarren, während sich die Linien immer schneller und schneller ausbreiteten. Sie zeichneten etwas – eine Frau, die am Fenster saß und stickte. In der einen Sekunde stand ich neben der Wand, blickte zu dem Bild, und in der nächsten atmete die Frau, blinzelte, und ich war Teil der Zeichnung. Es war die Frau, die ich am Strand gesehen hatte. Sie trug ein weißes Seidenkleid und einen hauchzarten Schleier, der ihr Haar bedeckte.
Sie lächelte und zeigte auf den Stuhl, der ihr gegenüber stand. Als ich mich setzte, reichte sie mir einen runden Stickrahmen mit einem zauberhaften Abbild Durgas. Die Stiche waren so fein und zart, dass es einem Gemälde gleichkam. Die Frau hatte Blumen erschaffen, die täuschend echt aussahen, und Durgas Haar ergoss sich unter ihrer goldenen Haube in Wellen, die so weich wirkten, dass sich meine Finger unwillkürlich danach streckten. Die Frau gab mir eine Nadel und eine kleine Schachtel voller winziger Perlen.
»Was soll ich tun?«
»Durga braucht ihre Kette.«
»Ich habe noch nie mit Perlen gestickt.«
»Sieh her … Sie haben winzige Löcher. Ich zeige es dir mit den ersten beiden, und dann kannst du weitermachen.«
Geschickt fädelte sie die Nadel auf, machte einen klitzekleinen Stich, zog eine Saatperle auf die Nadel, band den Faden darum und tauchte die Nadel erneut in den Stoff. Ich beobachtete, wie sie genau denselben Vorgang wiederholte, bevor sie mir die Nadel reichte und die Schachtel mit den Perlen auf das Fensterbrett stellte.
Sie nahm ihren Rahmen zur Hand, wählte ein blaues Garn aus und fuhr mit der Arbeit fort. Nachdem ich zwei Perlen befestigt hatte und mit meinem Versuch zufrieden war, fragte ich: »Wer bist du?«
Ihre Augen ruhten beim Reden auf ihrer Handarbeit. »Ich habe viele Namen, doch der üblichste ist Lady Seidenraupe.«
»Durga hat mich zu dir geschickt. Sie meinte, du würdest uns helfen und uns auf unserer Reise führen.« Ich blinzelte. »Oh! Du tauchst in der Prophezeiung auf. Du bist die Lady, die die Seide spinnt.«
Sie lächelte, während sie sinnierend ihre Nadel betrachtete. »Ja. Ich webe und sticke mit Seide.
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