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Flucht aus dem Harem

Flucht aus dem Harem

Titel: Flucht aus dem Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daria Charon
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daran glaubte, fliehen zu können. Und später gehörte es zur täglichen Routine, zum Zeitplan, den ich mir auferlegt hatte, um mich nicht aufzugeben.“
Das Geständnis klang nicht weinerlich, sondern er berichtete einfach nur die Fakten. Wenn sie daran dachte, dass sie sich einfach fallen lassen und sich bis zu Karims Machtübernahme in ihr Schicksal gefügt hatte, kam sie nicht umhin, seine Haltung zu bewundern. In all den Jahren hatte er etwas aus der Situation gemacht, während sie sich darauf beschränkte, sich treiben zu lassen. Sie hatte von Tag zu Tag gelebt, keine Pläne geschmiedet. Nicht einmal in diesem Moment wusste sie, wie ihr Leben weitergehen sollte.
Diese Erkenntnis im direkten Vergleich zu Justins Disziplin und Entschlossenheit verstimmte sie. Sie schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. „Ich gehe an Deck. Ich brauche etwas frische Luft.“
Ohne auf seine Antwort zu warten, zog sie sich an. Obwohl sie natürlich merkte, dass er sie beobachtete, sah sie ihn nicht mehr an und fragte ihn auch nicht, ob er sie begleiten wollte. Dass die Tür hinter ihr lauter ins Schloss fiel als nötig, bemerkte sie ebenfalls nicht.
Gegenüber dem Vortag hatte der Wind aufgefrischt, es war merklich kühler geworden. Leila, die den Mantel in der Kabine gelassen hatte, rieb ihre Oberarme. Aber um nichts in der Welt würde sie zurückgehen, um ihn zu holen.
Sie blickte in die Wellen, deren weiße Gischt gegen den Schiffsrumpf brandete und versuchte, sich von allen unerfreulichen Gedanken zu befreien. Leider tauchte sofort ein anderer, noch unerfreulicher Gedanke auf, sobald sie den vorherigen erfolgreich verdrängt hatte.
Hinter ihr hasteten die Seeleute übers Deck. Sie hörte das Ächzen der Maste und den Wind, der in die Segel fuhr. Die Weite des Meeres brachte ihr die Enge auf dem Schiff noch deutlicher zu Bewusstsein. Die Tatsache, dass sie hier eine geraume Anzahl Tage und Nächte verbringen sollte, zerrte an ihren Nerven. Sie fühlte sich eingesperrt ohne auch nur die leiseste Möglichkeit zur Flucht. So hatte sie sich ihre Freiheit nicht vorgestellt.
Sie begann, an der Reling entlang zum Heck zu gehen. Die Blicke der Seeleute machten ihr jedoch schon nach den ersten Schritten klar, dass das keine gute Idee war. Unverhohlene Aufforderungen lagen darin, obwohl es keiner wagte, sie anzusprechen. Leila ignorierte die Männer und setzte sich auf eine Kiste. Sie war froh, dass wenigstens Justin in der Kabine blieb und sie nicht mit seiner Aufmerksamkeit belästigte.
Doch nach einer Weile begann sie sich zu fragen, warum er nicht ebenfalls an Deck kam. Hatte er schon genug von ihr? Hatte sie wieder etwas falsch gemacht? Entglitt er ihr bereits wie seinerzeit der Pascha? Sie stützte die Ellbogen auf die Knie und legte den Kopf auf die Hände. Reichten ihre Fähigkeiten nicht einmal dazu, einen völlig unerfahrenen Mann in ihren Bann zu ziehen?
Wut auf sich selbst, auf das Schicksal, auf den Pascha, auf Justin stieg in ihr hoch. Fahrig massierte sie ihre Schläfen. Sie sollte aufhören, mit der Vergangenheit zu hadern. Sie sollte über ihre Zukunft nachdenken. Pläne machen.
„Hier.“
Leila öffnete die Augen. Justin stand vor ihr und hielt ihr einen Henkelbecher mit Kaffee entgegen. Wieder trug er nichts als seine helle Hose, und prompt beschleunigte sich ihr Herzschlag.
„Danke“, sagte sie missgelaunt und griff nach dem Becher.
„Ich habe dir extra viel Zucker hineingetan.“ Er lächelte sie an. Das Sonnenlicht verfing sich in den hellen Spitzen seiner Wimpern, und der Wind zauste sein rotblondes Haar. Mit einiger Mühe wandte sie den Blick ab.
Unbekümmert setzte er sich neben sie. „Ich kann noch immer nicht glauben, dass ich frei bin.“ Er blickte zum Himmel. „Es ist so ein wunderbares Gefühl, die Sonne zu spüren. Und den Wind. Ich kann es gar nicht erwarten, wenn es regnen wird.“
Leila schlürfte die heiße, dunkle Flüssigkeit. Seine kindliche Freude gepaart mit ihrer schlechten Laune verleiteten sie dazu, ihm einen Schlag unter die Gürtellinie zu versetzen. „Warum hat eigentlich niemand das Lösegeld für dich bezahlt? Dann hättest du schon viel früher frei sein können.“
Sie spürte, wie er sich verspannte und wie seine gute Laune verpuffte. „Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden.“
Er war niemandem das Lösegeld wert gewesen, das musste er ihr nicht erklären. Eine solche Erkenntnis konnte das Selbstbewusstsein eines jedes Menschen zum Zersplittern bringen.

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